Das Jahrhundertgemetzel

Joe Sacco: Die Schlacht an der Somme

Vor zwei Jahren startete das Leseprojekt Erster Weltkrieg, als sich der Beginn dieses vierjährigen Gemetzels zum hundertsten Mal jährte. Vier Jahre sind eine lange Zeit, doch auch in diesem 51monatigen Morden gab es Fixpunkte, die bis heute symbolisch für die industrialisierte Kriegsführung stehen, bei der Millionen von Soldaten nichts weiter waren als Menschenmaterial oder Kanonenfutter. Der Kampf um Verdun und die Schlacht an der Somme gehören ohne Zweifel dazu. Und beide Ereignisse sind 2016 genau ein Jahrhundert her. Der Graphic-Novel-Künstler Joe Sacco beschreibt in seinem Werk »Der Erste Weltkrieg – Die Schlacht an der Somme« die Geschehnisse an der Somme auf eine ganz besondere Weise. „Das Jahrhundertgemetzel“ weiterlesen

Leseprojekt Spanischer Bürgerkrieg

Leseprojekt Spanischer Bürgerkrieg

In diesen Tagen jährt sich der Beginn des Spanischen Bürgerkriegs zum achtzigsten Mal. Gleichzeitig ist mir schon länger bewusst, dass ich bis auf die rudimentären Eckdaten kaum etwas Genaueres über diesen Konflikt weiß. Der schließlich nicht nur Spanien veränderte – und dort bis heute nicht vollständig aufgearbeitet ist – sondern viel mehr als ein Bürgerkrieg war. Nämlich ein Kampf der Ideologien, ein blutiges Experimentierfeld für die nur wenige Jahre später stattfindenen Auseinandersetzungen, die vom Zweiten Weltkrieg über die Stellvertreterkriege in Südostasien bis hin zum kalten Krieg Europa und die Weltordnung prägen sollten. Bis zum heutigen Tag. „Leseprojekt Spanischer Bürgerkrieg“ weiterlesen

Jahr-Bücher

Jahr-Bücher: Nur eine Jahreszahl als Titel. Eine Liste.

In letzter Zeit tauchen sie vermehrt auf, die Bücher, die lediglich eine Jahreszahl als Titel tragen. Mit welchem hat es angefangen? Bewusst wahrgenommen habe ich es zum ersten Mal bei »1913« von Florian Illies. Seitdem hat es etliche weitere Jahre gegeben, die zum Anlass genommen wurden, sie im Bezug auf den Verlauf der Geschichte darzustellen. Das Konzept finde ich reizvoll, denn es waren tatsächlich immer wieder besonders ereignisreiche Zeiten, die den Lauf der Dinge maßgeblich beeinflusst haben. Berühmte Vertreter sind 1968 oder 1989, keine Frage. Aber darüber hinaus gab und gibt es immer wieder Jahre, in denen sich entscheidende Ereignisse kumulierten oder die einfach repräsentativ für eine ganze Epoche stehen. Momentaufnahmen in Buchform.

Ich habe einmal einen Blick ins heimische Bücherregal geworfen und hier zusammengestellt, welche Jahr-Bücher sich bei mir angesammelt haben; Sachbücher vor allem, aber auch Romane: Eine kleine Rundreise durch die Geschichte. „Jahr-Bücher“ weiterlesen

Reise durch die Zwischenwelt

Stephan Abarbanell: Morgenland

Die Suche nach einer verschwundenen Person, ein Roadtrip durch eine Welt im Umbruch und jede Menge zeitgeschichtlicher Hintergrund: Der Klappentext zu »Morgenland« von Stephan Abarbanell versprach ein Buch ganz nach meinem Geschmack. Und genau das ist es dann auch gewesen. Ein spannender Roman, der uns eine Epoche in der Geschichte zweier Länder näher bringt, in der das eine noch gar nicht existierte und das andere in Trümmern lag. Israel und Deutschland. „Reise durch die Zwischenwelt“ weiterlesen

Gefangene der Geschichte

Ilija Trojanow: Macht und Widerstand

Was weiß ich über Bulgarien? Nicht wirklich viel, um ehrlich zu sein. Früher ein ärmlicher, grauer Ostblock-Staat, heute ein Land, das sich zwar offiziell eine Demokratie nennt, aber unter den Auswirkungen von Korruption und organisiertem Verbrechen leidet; so meine Wahrnehmung. Ein europäisches Land, und trotzdem viel weiter weg als manche Ziele in Übersee. Mit Ilija Trojanows Buch »Macht und Widerstand« rückt Bulgarien plötzlich mitten hinein ins Bewusstsein – auch wenn man Trojanows Werk ebenso als eine allgemeingültige Parabel über das Leben und Überleben in einer Diktatur lesen kann. „Gefangene der Geschichte“ weiterlesen

Der Funke in der Munitionsfabrik

Henrik Rehr: Der Attentaeter

Terroristische Anschläge und deren Gründe beherrschen die aktuelle Nachrichtenlage. Aber sie sind kein neues Thema, denn Attentate aus politischen, ideologischen oder fanatisch-religiösen Anlässen gibt es schon immer. Vor etwas mehr als einem Jahrhundert setzten die Schüsse des serbischen Terroristen Gavrilo Princip die halbe Welt in Brand, als er in Sarajevo den östereichisch-ungarischen Thronfolger und dessen Frau erschoß. Serbe, Nationalist, Terrorist – wer war dieser Princip? Wie wurde er zu einem Attentäter, der bereit war, sein eigenes Leben für diesen Anschlag wegzuwerfen? Was waren seine Beweggründe? Darüber gibt ein ganz besonderes Buch Auskunft, die Graphic Novel »Der Attentäter« von Henrik Rehr. Der Untertitel macht das Anliegen des Autors und Zeichners deutlich, »Die Welt des Gavrilo Princip« zu beschreiben. „Der Funke in der Munitionsfabrik“ weiterlesen

Leseprojekt Herkunft und Heimat

Leseprojekt Herkunft und Heimat

Ich bin der Sohn eines Flüchtlings. Der Enkel von Flüchtlingen. Und der Ur-Ur-Ur-Urenkel einer Flüchtlingsfamilie, dadurch ist ein großer Teil meiner Familiengeschichte kaum noch rekonstruierbar. Meine Ahnen mütterlicherseits waren Religionsflüchtlinge, sie zogen um 1700 als vertriebene Hugenotten aus Frankreich quer durch Europa bis nach Westpreußen, wo ihnen der preußische König Asyl gewährte. Dort hatten sie zwei Jahrhunderte Ruhe, bis 1918/1919 das Ende des Ersten Weltkriegs die mittel- und osteuropäische Landkarte gehörig durcheinander wirbelte. Westpreußen wurde dem wiedergegründeten polnischen Staat zugeschlagen, meine Vorfahren und viele andere Bewohner wurden vertrieben. Mit dabei war meine Großmutter, die 1919 zwanzig Jahre alt war. Sie starb 1981 und ich kann mich noch gut daran erinnern, wie sie erzählte, dass sie, ihre Eltern und fünf Geschwister bei Nacht und Nebel ihr vertrautes Zuhause verlassen mussten. Jeder konnte ein Gepäckstück mitnehmen. „Leseprojekt Herkunft und Heimat“ weiterlesen

Dramaturgie des Scheiterns

Erster Weltkrieg. Joerg Friedrich: 14-18

Für den Zivilisationsbruch zu Beginn des 20. Jahrhunderts gibt es verschiedene Bezeichnungen, Erster Weltkrieg oder auch der Große Krieg. Jörg Friedrich hat sein Buch einfach »14/18« genannt – groß und plakativ prangen die Ziffern auf dem Umschlag. Es ist ein wenig anders als die anderen Gesamtdarstellungen dieser vier Jahre. Anders von der Sprache her, anders von der Gliederung her, anders in der gesamten Konzeption. Da Friedrich kein Historiker, sondern Publizist und Journalist ist, bewegt er sich sprachlich weg von einer wissenschaftlichen Darstellung. Weit weg. Denn die Sprache ist das, was das Werk gleich auf den ersten Seiten von anderen Sachbüchern unterscheidet. Mitreißend, wuchtig, etwas pathetisch, manchmal brachial, mit einem Hauch Polemik inszeniert der Autor den Ersten Weltkrieg als europäisches Drama. „Dramaturgie des Scheiterns“ weiterlesen

Humphrey Bogart im Drohnenland

Tom Hillenbrand: Drohnenland

Vor hundert Jahren sind Europas Armeen gegeneinander in den Krieg gezogen und das war erst der Beginn einer beispiellosen Gewaltspirale. Vor diesem Hintergrund mag man die Europäische Union als einen friedensstiftenden Fortschritt betrachten. Gleichzeitig ist sie aber auch ein Bürokratiemonster, dessen politische Entscheidungen zunehmend von den Lobbyisten der Industrie geprägt sind. Ein schönes Beispiel war hier die Abschaffung der Glühbirne: Nicht nur, dass Energiesparleuchten Giftstoffe enthalten, sondern viel unerträglicher ist es, dass es per Gesetz keine Alternative mehr dazu gibt. Mit Umweltschutz hat das nur am Rande zu tun. Aber ich schweife ab, denn eigentlich soll es hier nicht um Glühbirnen gehen, sondern um Drohnen, genauer gesagt um das Buch »Drohnenland« von Tom Hillenbrand. Es spielt in der Zukunft, etwa im Jahr 2050, und sollte die darin beschriebene EU jemals Wirklichkeit werden, würden wir uns alle das Bürokratiemonster von heute zurückwünschen. „Humphrey Bogart im Drohnenland“ weiterlesen

West. Ost. Konflikt

Verdun und Ober Ost: Facetten des Ersten Weltkriegs

Den Ersten Weltkrieg assoziiert man gemeinhin mit Bildern von völlig verwüsteten Landschaften, durchzogen von Gräben, durchlöchert von Granateinschlägen. Dies ist aber nur eine Facette. Wie viele andere es gab, wird mir immer klarer, denn die hundertjährige Wiederkehr des Kriegsausbruchs nehme ich zum Anlass, mich intensiv mit der Thematik zu beschäftigen. Aus den zahlreichen Büchern, die es momentan über den Ersten Weltkrieg gibt, habe ich mir ein Leseprojekt zusammengestellt und bin dabei, immer tiefer in diese Epoche einzutauchen, die prägend für das gesamte 20. Jahrhundert war – und damit auch für die Welt, in der wir heute leben. 

1914 war das deutsche Kaiserreich in einer selbst verschuldeten und denkbar ungünstigen Ausgangssituation und musste im Westen wie auch im Osten Krieg führen. Wie es genau dazu kam, schildert Christopher Clark meisterhaft in seinem Werk Die Schlafwandler. Für die Geschehnisse nach Ausbruch des Krieges habe ich zwei Sachbücher in die Leseliste mit  aufgenommen, die thematisch für jeweils eine der beiden Himmelsrichtungen stehen. Zum einen »Verdun 1916« von Olaf Jessen und zum anderen »Kriegsland im Osten« von Vejas Gabriel Liulevicius. „West. Ost. Konflikt“ weiterlesen

Irische Schicksalsjahre

Sebastian Barry: Ein langer, langer Weg

Für Irland waren die Jahre zwischen 1914 und 1918 in besonderer Weise schicksalhaft. Seit Jahrhunderten litt das verarmte Land unter dem Joch der englischen Herrschaft, doch kurz vor dem ersten Weltkrieg war zum ersten Mal konkret von einer Politik der Selbstbestimmung die Rede. Tausende von jungen Männern meldeten sich daher 1914 freiwillig für die englische Armee, in der Hoffnung, dass Irland als Anerkennung für seinen Einsatz an der Seite Englands ein autonomer Teil des britischen Commonwealth würde. Allerdings stellten sich insbesondere die englandtreue Bevölkerung der nordirisichen Region Ulster und die konservativen Kräfte Englands gegen eine solche politische Entwicklung, es kam schon damals zu ersten Unruhen in der Bevölkerung.In dieser Zeit spielt der Roman »Ein langer, langer Weg« von Sebastian Barry. „Irische Schicksalsjahre“ weiterlesen

Erster Weltkrieg privat

Vor ein paar Jahren ist eine Bewohnerin unserer Straße 100 Jahre alt geworden. Alle Nachbarn waren vor dem Haus versammelt, um ihr zu gratulieren, Bierbänke wurden aufgestellt und es gab Kölsch. Im Verlauf der kleinen Feier unterhielt ich mich kurz mit der Jubilarin und sie erzählte mir von einer ihrer ersten Erinnerungen, damals, als sie ein fünfjähriges Mädchen war: Sie wusste heute noch, wie ihr Vater aus dem Krieg zurückkehrte. Ich musste kurz überlegen, bis mir klar wurde, dass sie vom Ersten Weltkrieg sprach. Da lief mir ein Schauer über den Rücken, ein direkter Kontakt mit einer Zeitzeugin einer solch fernen Epoche ist selten geworden und wird in wenigen Jahren nicht mehr möglich sein. Und erzählte Geschichte ist Thema des Buches, das ich hier vorstellen möchte.

An Büchern über den Ersten Weltkrieg herrschte gerade im Gedenkjahr 2014 beileibe kein Mangel, Bücher über die Ursachen, über den Verlauf, über einzelne Aspekte, über globale Zusammenhänge, über kulturgeschichtliche Erkenntnisse. Aber was dachten die Menschen, die in dieser Zeit lebten? Wie lebten sie? Was empfanden sie? Was erduldeten, ertrugen, erlitten sie? Welche Spuren haben die Kriegsjahre in ihnen hinterlassen? Und: Wer waren sie? Was haben sie davon berichtet? Hier sticht ein Buch aus der Masse hervor. Es ist »Schönheit und Schrecken« von Peter Englund. „Erster Weltkrieg privat“ weiterlesen

Das Ende der bekannten Welt

Herfried Münkler: Der große Krieg

Die Welt, in der wir heute leben, ist zu großen Teilen aus den Folgen der Ereignisse entstanden, die 1914 begannen und die in England und Frankreich der Große Krieg genannt werden. »Der Große Krieg« ist auch der Titel von Herfried Münklers lesenswerter Darstellung des Ersten Weltkriegs. Die Jahre von 1914 bis 1918 waren eine Zeitenwende von epochaler Wucht, die in der deutschen Erinnerungskultur bisher immer ein Schattendasein führte – überlagert von den verheerenden Ereignissen, die danach stattfanden. Und unmittelbar darauf zurückzuführen sind. Denn 1914 hat alles angefangen.

Das Buch ist ein weiterer wichtiger Baustein meines Leseprojekts Erster Weltkrieg. „Das Ende der bekannten Welt“ weiterlesen

Le jour de gloire?

Jean Echenoz: 14

Das Buch »14« von Jean Echenoz beginnt an einem schönen Augustnachmittag in Frankreich, in der Vendée. Gemeinsam mit Anthime, einer der Hauptpersonen der Geschichte, stehen wir auf einem Hügel und erleben, wie gleichzeitig in allen Dörfen ringsum die Kirchturmglocken zu läuten beginnen. Es ist August 1914 und die Glocken verkünden das Signal zur Mobilmachung. Anthime marschiert zusammen mit Charles, Padioleau, Bossis und Arcenel von der Kaserne an die Front. Fünf Männer, von denen nur zwei zurückkommen werden. Der eine blind, der andere einarmig. „Le jour de gloire?“ weiterlesen

Alternativlose Politik 1914

Christopher Clark: Die Schlafwandler

722 Seiten über Politik und Diplomatie in einem Buch, an dem der Autor fünf Jahre gearbeitet hat, das frischen Wind in die seit Jahrzehnten andauernde Debatte über die Ursachen des Ersten Weltkriegs bringt und das Zeug hat, zu einem neuen Standardwerk der Geschichtsforschung zu avancieren. Wie soll man solch ein Werk in einem kurzen Blogbeitrag beschreiben? Genau, es geht um »Die Schlafwandler« von Christopher Clark. „Alternativlose Politik 1914“ weiterlesen