Buchpreis mit Tai Chi

Deutscher Buchpreis 2015: Die Preisverleihung

Frank Witzel also. Er hat für seinen Roman »Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969« den Deutschen Buchpreis 2015 bekommen. Eine sensationelle Entscheidung der Jury, die damit den Außenseiter der Shortlist zum Gewinner kürte – eine Entscheidung, die besonders den Buchpreisbloggerkollegen Jochen Kienbaum gefreut haben dürfte, dessen persönlicher Favorit das sperrig-amüsante, genial zusammengefügte Buch schon seit vielen Wochen gewesen ist. Der Titel, dem ich den Preis am meisten gegönnt hätte, wäre Rolf Lapperts »Über den  Winter« gewesen, aber die Entscheidung für Witzels »Erfindung« gefällt mir ebenfalls sehr gut, da das Buch für mich reinstes Kopfkino ist und unzählige Bilder im Gehirn aufgehen lässt.

Und beim Stichwort Bilder bin ich beim Tag der Preisverleihung angelangt, von dem ich hier berichten möchte. „Buchpreis mit Tai Chi“ weiterlesen

Wohin geht die Reise?

Rolf Lappert: Ueber den Winter

Wenn ich ein symbolisches Bild für den Begriff Familie finden müsste, würde ich an ein Planetensystem, an eine Galaxie denken. Jeder Planet steht alleine für sich, alle kreisen sie um ein Zentrum, sie ziehen sich an und sie stoßen sich ab, aber keiner kann ohne den anderen sein. Ein geschlossenes System, das man nur verlassen könnte mit einem radikalen Abbruch aller Beziehungen, einem Ausbruch ohne Wiederkehr. Hält man sich lediglich bedeckt, bleibt man trotzdem Teil des Ganzen, ob man will oder nicht. Und kann durch besondere Umstände jederzeit wieder mitten hinein in das Planetensystem gezogen werden. So geht es Lennard Salm, dem Protagonisten des Romans »Über den Winter« von Rolf Lappert. „Wohin geht die Reise?“ weiterlesen

Gefangene der Geschichte

Ilija Trojanow: Macht und Widerstand

Was weiß ich über Bulgarien? Nicht wirklich viel, um ehrlich zu sein. Früher ein ärmlicher, grauer Ostblock-Staat, heute ein Land, das sich zwar offiziell eine Demokratie nennt, aber unter den Auswirkungen von Korruption und organisiertem Verbrechen leidet; so meine Wahrnehmung. Ein europäisches Land, und trotzdem viel weiter weg als manche Ziele in Übersee. Mit Ilija Trojanows Buch »Macht und Widerstand« rückt Bulgarien plötzlich mitten hinein ins Bewusstsein – auch wenn man Trojanows Werk ebenso als eine allgemeingültige Parabel über das Leben und Überleben in einer Diktatur lesen kann. „Gefangene der Geschichte“ weiterlesen

Ausgelöscht

Heinz Helle: Eigentlich muessten wir tanzen

Schon auf der zweiten Seite von Heinz Helles Roman »Eigentlich müssten wir tanzen« haben die fünf Männer, um die es geht, sämtliche Sympathien verspielt. Gleichzeitig zeigt die geschilderte Szene unmissverständlich, dass sich der Leser in eine Welt hineinbegibt, in der die Regeln des menschlichen Zusammenlebens, des Anstands und der Moral vollkommen verschwunden sind. Eine kaputte Welt der tierhaften Triebe und des unbarmherzigen Überlebenswillens. Was ist geschehen?  „Ausgelöscht“ weiterlesen

#dbp15: Shortlist-Favoriten der Buchpreisblogger

Deuscher Buchpreis 2015: Shortlist-Favoriten der Buchpreisblogger

Langsam wird es spannend. Morgen, am 16. September, wird um 11.00 Uhr die Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2015 bekannt gegeben. Wir Buchpreisblogger haben uns deshalb zusammengesetzt und uns bei ein paar Flaschen Wein die Nacht um die Ohren geschlagen und Gedanken darüber gemacht, wen wir gerne auf der Shortlist sehen würden … Okay, Spaß beiseite, so war es (leider) nicht ganz, dazu wohnen wir alle viel zu weit auseinander. Dabei wäre das sicherlich ein ganz wunderbarer Abend geworden, zumal ich einige meiner Buchblogger-Kollegen bisher nur virtuell kenne. Aber gut, genauso virtuell haben wir unsere Buchpreisblogger-Favoriten für die Shortlist abgestimmt und veröffentlichen heute – 24 Stunden vor Bekanntgabe der Shortlist – alle den folgenden Text, auf den wir uns geeinigt haben. „#dbp15: Shortlist-Favoriten der Buchpreisblogger“ weiterlesen

Das Leben der Mütter

Anke Stelling: Bodentiefe Fenster

Im April 1990 lief ich durch ein gigantisches Trümmerfeld. Endlos wirkende Straßenzüge ruinengleicher, aber immer noch prächtiger Häuser unter einem grauen, regnerischen Himmel. Braunkohlegeruch, kaum ein Mensch auf der Straße und was mir besonders in Erinnerung geblieben ist, waren die Metallträger, die aus den bröckelnden, schwarzen Fassaden ragten und damit andeuteten, wo einst Balkone waren. Alles war beeindruckend und trostlos zugleich. Niemals hätte ich es damals für möglich gehalten, dass dieser Bezirk nur fünfzehn Jahre später zu einer der angesagtesten, schönsten und gleichzeitig zu einer der gediegensten und auf eigene Art und Weise spießigsten Wohngegenden Deutschlands werden sollte. Zu einem Bionade-Biedermeier, wie die ZEIT treffend titelte. Genau, es geht um den Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg und Anke Stellings Roman »Bodentiefe Fenster« führt mitten hinein ins Biotop der unangepassten Angepassten. „Das Leben der Mütter“ weiterlesen

Ein BRD-Lesebuch

Frank Witzel: Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch depressiven Teenager im Sommer 1969

Was lese ich da eigentlich gerade? Eine Frage, die ich mir bei der Lektüre von Frank Witzels Roman immer wieder stelle. »Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969« ist ein sperriges Buch. Anstrengend. Fast unlesbar. Und gleichzeitig berauschend, ein wahrer Sprachmarathon, bei dem man seine Lesekräfte einteilen muss. Spätestens nach den Besprechungen von intellectures und lustauflesen.de bin ich mit Respekt an die Sache herangegangen, aber jetzt befinde ich mich mittendrin in diesem Sprachmonster und habe keine Ahnung, wie man dieses Werk in einer Besprechung darstellen, wie man die unglaubliche sprachliche Faszination gebührend würdigen könnte.

Wer eine Art Roman rund um die Rote Armee Fraktion erwartet, wird bitter enttäuscht werden. Ebenso wird es Lesern gehen, die sich auf eine klar strukturierte Handlung freuen. Das Buch hat beides nicht zu bieten. Dafür viel mehr als das, nämlich eine Reise tief, tief hinein in das Unterbewusstsein der alten Bundesrepublik Deutschland, ein Land und eine Lebensweise die genau so im Dunst der Geschichte verschwunden sind, wie die Deutschen Demokratischen Pendants. Die Jahre des RAF-Terrors stehen exemplarisch für die alte Bundesrepublik, haben sie doch wie kaum eine andere Zeit den gesellschaftlichen Wandel in Westdeutschland geprägt.

Doch um was geht es eigentlich? Das ist nicht einfach zusammenzufassen. Irgendwie um alles, was die Zeit der ausgehenden 60-er und beginnenden 70-er Jahre ausmachte, mit all ihrem spießigen Mief, dem angepassten Kleinbürgertum als staatstragende Verhaltensnorm. Gesehen aus der Warte eines Heranwachsenden, irgendwo in einer rheinhessischen Kleinstadt, dessen reale Erlebnisse sich mit Tagträumen, Fieberdelirien, weiter und weiter gesponnenen Gedankenläufen zu einer einzigartigen Textcollage verbinden, in die hinein man als Leser erst einmal einen Weg finden muss, eine Expedition ins Unbekannte. Bei der man viele, viele bekannte Namen und Marken der eigenen Jugend wiedertrifft, zumindest wenn man vor 1975 geboren wurde.

Lesetagebuch: Eine Annäherung

Bei mir dauert diese Textexpedition nun schon ein paar Tage an und ich habe beschlossen, diesmal eine Art Lesetagebuch zu führen. Als Versuch einer Annäherung. „Ein BRD-Lesebuch“ weiterlesen

Vorwärts immer, rückwärts nimmer

Peter Richter: 89/90

Die beiden Jahre 1989 und 1990 waren entscheidend. Entscheidend für die Geschichte unseres Landes, unseres Kontinents und letztendlich für die Welt, wie wir sie heute kennen. Und für mich ganz persönlich ebenfalls. 1989 wurde ich Halbwaise, die Schulzeit endete, der Zivildienst begann, die heimelige süddeutsche Kleinstadt, in der ich aufgewachsen war, blieb hinter mir zurück. Und dann fiel auch noch die Mauer und plötzlich wurde alles anders. Auch im Westen. Auch hier verlief das Leben danach nicht so wie geplant. Wobei ich eigentlich noch gar nichts geplant hatte. Aber plötzlich wurde der Zivildienst drastisch verkürzt, was unvorhergesehene Ereignisse mit sich brachte und ein paar Jahre später verschlug es mich zum Studium nach Leipzig – was noch während meiner Schulzeit nicht nur undenkbar, sondern schlicht und ergreifend unmöglich gewesen wäre. Aber eigentlich möchte ich gar nicht über mich reden, sondern über das Buch »89/90« von Peter Richter. Ein bisschen verschmilzt das aber miteinander. „Vorwärts immer, rückwärts nimmer“ weiterlesen

Das Buchpreislesen: #dbp15

Deutscher Buchpreis 2015

Das große Buchpreislesen 2015: Als offizielle Kooperationspartner des Deutschen Buchpreises sind sieben Literaturblogs mit dabei: Die Buchpreisblogger. Der Kaffeehaussitzer befindet sich hier in illustrer Gesellschaft mit Buchrevier, Buzzaldrins Bücher, Klappentexterin, lustauflesen.de, masuko13 und Sätze & Schätze. Mehr Informationen zum Preis, zum Ablauf, zum Procedere und den Beteiligten gibt es hier.

Spannende Titel sind dabei und es warten einige literarische Entdeckungen. Dieser Beitrag ist das Grundgerüst für die kommenden Wochen. Ich werde hier alle nominierten Bücher auflisten und sobald auf einem der beteiligten Blogs etwas dazu geschrieben wurde, einen Link zur Besprechung beim jeweiligen Titel hinterlegen. So entsteht nach und nach ein Überblick über das, was bei den Buchpreisbloggern geschieht. „Das Buchpreislesen: #dbp15“ weiterlesen