Es sind sechs Buchstaben, die jahre- oder vielmehr jahrzehntelang das Straßenbild des Kölner Stadtteils prägten, in dem ich lebe: BÜCHER. Die schwarzen Versalien auf gelbem Hintergrund waren schon tagsüber kaum zu übersehen. Doch bei Nacht wirkten sie von innen angestrahlt wie ein Leuchtturm, wie ein helles Statement in der Dunkelheit: BÜCHER. Sie gehörten zur kleinen, sehr feinen Buchhandlung Olitzky in der Luxemburger Straße 275 in Köln. Von den Buchhandlungen meines Vertrauens war es diejenige, die fußläufig am nächsten lag – und bei all den »Nur mal schauen«-Besuchen bin ich ganz selten wieder ohne Buch aus dem Laden gegangen.
Ich schreibe dies alles in der Vergangenheitsform. Leider. Denn am 30. Juni 2025 hatte die Buchhandlung Olitzky den letzten Tag geöffnet. Danach war Schluss – und eine Institution unseres Stadtteils ist verschwunden. Der Grund: Die beiden schon über siebzigjährigen Inhaber, das Buchhändlerpaar Nora und Manfred Ruland, haben sich in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet. Einen Nachfolger gab es nicht.
Die Buchhandlung existierte seit den Fünfzigerjahren, seit 1981 gehörte sie den Rulands. 44 Jahre lang prägten die beiden das literarische Leben des Stadtteils – mit einem exzellenten Sortiment, mit hunderten von Veranstaltungen, die von großen Lesungen (in externen Räumen) bis hin zu geführten Rundgängen durch das Viertel reichten, mit legendären Buchvorstellungs-Abenden, die die Vorweihnachtszeit einleiteten, mit Büchertischen, mit Teilnahme an Kunstveranstaltungen, bei denen das Schaufenster zur Galerie wurde und vielem mehr. Und beim Durchblättern neuer Verlagsprogramme wussten sie schon im Voraus, welches Buch für welchen Stammkunden passen würde. Das geflügelte Wort von Buchhandlungen als kulturelle Tankstellen – selten war es zutreffender als hier. Das Ehepaar Ruland dazu: »Es waren 44 prallvolle, wunderbare Jahre unseres Lebens. Unseres Lebens – denn wir haben es nie als Arbeit gesehen.«
Ganz offiziell heißt der Beruf, den auch ich einst gelernt habe, Sortimentsbuchhändler, denn es geht um die Zusammenstellung einer kuratierten Auswahl an Büchern, eben eines Sortiments. Genau das machten die beiden mit viel Gespür, niemals ermüdender Begeisterung und großer Leidenschaft für das gedruckte Wort.
Fast zwanzig Jahre lang war ich Kunde der Buchhandlung Olitzky. Es war, wie gesagt, kein großer Buchladen. Ein schmaler, etwas schlauchförmiger Verkaufsbereich, in der Mitte die Kasse und das Regal für die Kundenbestellungen, dazu ein kleines Hinterzimmer für die Büroarbeiten. Doch die Buchauswahl auf den wenigen Regalmetern war so fein sortiert, dass sie immer wieder Überraschungen bereithielt. Durch das Bloggen und durch meinen Beruf in der Verlagsbranche halte ich mich für gut informiert, was Neuerscheinungen angeht – doch in dieser Buchhandlung habe ich sehr, sehr oft Bücher entdeckt, von denen ich beim Betreten des Ladens noch nichts gehört und schon gar nicht gewusst hatte, wie dringend ich sie brauchen würde. Oft haben wir uns über Romane und Literatur unterhalten; nie vergessen werde ich, wie Frau Ruland mir so begeistert von Bernadine Evaristos »Mädchen, Frau etc.« erzählte, dass sie mir mit den Worten »Das müssen Sie lesen!« kurzerhand ihr eigenes Arbeitsexemplar mitgab. Zum Glück, sonst wäre mir ein großartiger Roman entgangen.
Vor ein paar Jahren gab es einmal ein Kaffeehaussitzer-Schaufenster: Ich durfte Bücher für das Fenster zusammenstellen, die dann dort mit ein paar Zeilen aus dem Blog präsentiert wurden. Das war noch während der Pandemie-Zeit, aber bereits nach den harten Einschränkungen. Ein schönes Projekt, das großen Spaß gemacht hat und das wir nach zwei, drei Wochen mit einem Glas Sekt vor der Buchhandlung beendeten.
Doch bei dem Wort »Schaufenster« werde ich wehmütig. Denn jede Buchhandlung ist ein Schaufenster für Bücher und Literatur im öffentlichen Raum – und mit jeder Buchhandlung weniger wird die Präsenz der Bücher geringer. Besonders aber in diesem Fall, da die Buchstaben BÜCHER schon von weitem sichtbar waren – wie ein Leuchtfeuer, das der Orientierung dient. Als ich mich mit den Rulands über die angekündigte Schließung der Buchhandlung unterhielt, habe ich auch dies erwähnt und mein Bedauern darüber ausgedrückt. Daraufhin meinten die beiden zu mir: »Wollen Sie die Buchstaben haben? Wir möchten, dass sie in gute Hände kommen.« Zuerst war ich sprachlos und selten fühlte ich mich so geehrt.
Und so ist es dann gekommen: An einem Samstagvormittag im Juli montierten wir die sechs Buchstaben ab. Ein Freund hatte mir glücklicherweise seine Hilfe, sein Elektro-Knowhow und seine beeindruckende Werkzeugsammlung angeboten. Während wir auf zwei hohen Leitern standen und schraubten, blieben immer wieder Passanten stehen, machten Photos, sprachen mit den Rulands – es war eine melancholische Stimmung, denn etwas ging zu Ende. Und auch wenn ich mich natürlich unbändig freue, diese Leuchtbuchstaben mit meinem Lieblingswort bekommen zu haben, tat es mir gleichzeitig in der Seele weh, den Schriftzug BÜCHER von der Hauswand, an der er seit 1979 hing, zu entfernen. Nie wieder wird an dieser Stelle dieses wunderbare Wort schon von weitem zu sehen sein.
Nun stehen die sechs Buchstaben bei mir zu Hause auf dem Boden vor dem Bücherregal. Erst einmal. Sechs Schmuckstücke mit schwarzen Versalien auf gelbem Grund. Ich werde sie in Ehren halten und einen passenden Platz in den Wohnräumen für sie finden – am besten so, dass man sie von der Straße aus sehen kann. Natürlich werden sie auch hier im Blog Kaffeehaussitzer regelmäßig auftauchen. Und sollte ich jemals eine eigene Buchhandlung eröffnen, dann werden sie dort über dem Schaufenster leuchten: BÜCHER.

Liebe Frau Ruland, lieber Herr Ruland: Vielen Dank nicht nur dafür – sondern vor allem für die vielen Bücher, die ich bei Ihnen und durch Sie gefunden habe. Für die schönen Gespräche. Für Ihr Engagement für die Literatur. Und dafür, dass Sie mit Ihrer Buchhandlung Olitzky das Leben in unserem Stadtteil geprägt haben. Ich wünsche Ihnen alles Gute – und wir sehen uns bestimmt in den Straßen unseres Viertels.
#SupportYourLocalBookstore





Lieber Uwe,
eine großartige Würdigung! Dennoch macht sich Wehmut breit. Auch wenn die beiden Buchhändler auf ein langes, erfülltes Berufsleben zurückblicken, das sie selber nicht als Arbeit empfunden haben, ist es schade, dass mit ihrem Eintritt in den Ruhestand die Buchhandlung schließt.
Ich wohne in einer Kleinstadt, in der es einmal sechs inhabergeführte Buchhandlungen gab. Jetzt gibt es nur noch eine „Kette“ und eine letzte Inhaber-Buchhandlung. Als ich vor einigen Monaten in der Zeitung las, dass auch diese Buchhandlung schließen sollte, hat mich das um den Schlaf gebracht.
Zusammen mit einigen anderen Kunden und der angestellten Buchhändlerin haben wir uns dann kurzerhand entschlossen, die Buchhandlung als Genossenschaft weiter zu führen. Wir waren über den Zuspruch in unserer Stadt sehr erstaunt und schon nach drei Wochen hatten wir die zum Geschäfts-Start erforderlichen Genossenschaftsanteile verkauft. Jetzt müssen noch alle notwendigen Verträge geschlossen werden und dann kann es im September/Oktober losgehen. Immer noch sprechen uns Menschen an, die uns unterstützen wollen. Wir sind sehr gerührt und hoffen auf gutes Gelingen und darauf, dass „unsere“ Buchhandlung ebenfalls ein Leuchtturm bleibt.
Liebe Petra,
was für eine großartige Aktion! Alles Gute dafür.
Bei mir im Stadtteil gibt es noch weitere Buchhandlungen und die nächste, sehr gut sortierte und sehr engagiert geführte liegt nur ein paar Meter weiter. Und es ist nicht die einzige.
Daher bleibt die Versorgung mit fein ausgewählten Büchern gesichert.
Wie wunderbar und wie traurig. Schön, dass Du diesen Laden so lange haben konntest. Erstaunlich, dass sich keine Nachfolger:innen finden ließen. Wohin wirst Du jetzt gehen?
Ich selbst suche noch immer und werde nicht fündig.
Glücklicherweise ist die nächste Buchhandlung meines Vertrauens nur 300 Meter weiter und der Buchladen Sülzburgstraße ist sehr empfehlenswert. Und ein paar Straßen weiter gibt es noch eine Buchhandlung. Da sind wir hier in Köln-Sülz/Klettenberg ganz gut aufgestellt.
Ich habe den Artikel in voller Länge genossen. Die Leidenschaft für einen ganz bestimmten Ort teilen wir wohl alle, auf die ein oder andere Weise.
Es ist das hausgemachte, die persönliche Nähe, die Atmosphäre und manchmal auch der Geruch, die bestimmte Läden zu einen an Wohlfühlort machen. Das kann der kleine Handwerkerladen sein, die alte Bäckerei oder auch der Optiker. Bei jedem Besuch nimmt man etwas mit das Geld nicht zu bezahlen und mit Händen nicht greifbar ist. Die Expertise, das Vertrauen und die geteilte Leidenschaft.
Lieber Herr Kalkowski,
wie erfreulich, dass Sie die Buchstaben bekommen haben. Ihr Text trifft alles genau. Die ganze Entwicklung ist schon traurig.
Das Sterben der Inhaberinnen-geführten Buchhandlungen ist überall ein Trauerspiel.
Trotzdem schön, dass du dem Besitzerpaar Ruland hier noch ein Denkmal setzt und im Gegenzug die Buchstaben erhältst.
Ich lebe ja in München.
Aber es blutet mir das Herz.
Überaus schade.
Traurig! Ich weiß, wie wichtig ein Buchladen sein kann!
Sehr schön zu lesen, sehr einfühlsam, gut nachvollziehbar, aber auch sehr wehmütig für mich als Buchhändlerin i.R.
Ach, Uwe, da bekomme ich feuchte Augen: Eine so schöne Laudatio auf die Buchhandlung deines Vertrauens!!!
Nicht jede*r hat das große Glück, eine Buchhandlung des Vertrauens für sich entdecken zu dürfen. Dabei sind sie so wichtig – als Wegweiser, als Unterstützer, als Institution aber auch als geschützter Raum, in dem ich wachsen darf – sowohl literarisch wie auch als Mensch.
Liebe Grüße
Andreas
Hallo Uwe,
ich kann diese Wehmut und diesen Schmerz absolut nachvollziehen, wenn so eine Institution nicht weiter geführt wird. Irgendwas fehlt dann an dieser Stelle und man läuft die Jahre danach immer mit einem etwas traurigen Lächeln an diesem Fleck vorbei, aber mit guten Erinnerungen.
Ich finde es auf jeden Fall eine tolle Geste, dass du den Schriftzug erhalten hast und er ist bei dir definitiv in guten Händen.
Viele Grüße
Marc
P.S.: Wie es auch anders geht, konnte ich unlängst anhand meiner Lieblingsbuchhandlung in Erlangen erfahren. Die Betreiberin der Literarischen Buchhandlung, Frau Ilse Wierny, geht ebenfalls in den verdienten Ruhestand und hat eine Nachfolgerin für den Laden gefunden. Da bin ich sehr gespannt, wie sich das entwickelt, da ich gerade in diesem Laden immer wieder auf Schätze aus den Unabhängigen Verlagen gestoßen bin, die ich, ähnlich wie du, vorher überhaupt nicht auf dem Schirm hatte. Dabei denke ich, dass ich bei den Indies eigentlich ganz gut unterwegs bin. Daher: Wenn du mal in Erlangen bist, schau doch in der Literarischen Buchhandlung mal vorbei.
Sehr schön, diese Würdigung! Und sehr gut die Sicherung der Buchstaben. Mögen sie leuchten!