Berliner Ermittlungen

Berlin-Noir-Krimis: Fünf Ermittler

Nur wenige Orte gibt es auf der Welt, an denen die Verwerfungen und Umbrüche der Geschichte so deutlich sehen waren und zu sehen sind wie in Berlin. Die Stadt stand das gesamte 20. Jahrhundert über im historischen Fokus, Brennpunkt und Symbol gleichermaßen. Die dramatischste Zeit dürfte ohne Zweifel die Epoche zwischen 1918 und 1945 gewesen sein; hier nahmen in Berlin Ereignisse ihren Anfang, die mit ihren Folgen unsere ganze Welt verändern sollten.

1918 strömte das geschlagene kaiserliche Heer nach vier Jahren Krieg zurück, es folgten eine Revolution und deren Niederschlagung mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen in den Berliner Straßen. Dann die Inflation mit ihren verheerenden Folgen, eine erste vorsichtige Konsolidierung der jungen deutschen Republik, das langsame Erstarken der radikalen Parteien von rechts und links. Schließlich versetzte die Weltwirtschaftskrise dem Experiment der ersten deutschen Demokratie den Todesstoß, Straßenschlachten zwischen Nazis und Kommunisten waren an der Tagesordnung, Reichstagsauflösungen, Neuwahlen, immer schneller wechselten die Regierungen bis zu jenem unseligen Moment, als Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde. Die Folgen sind bekannt.

Gleichzeitig war Berlin in den zwanziger Jahren eine der modernsten Städte der Welt, ein Zentrum der Kunst und Kultur, Treffpunkt der Avantgarde. Licht und Schatten nah beieinander – eine perfekte Atmosphäre für das Genre Kriminalliteratur und deshalb ist es kein Wunder, dass sich inzwischen einige Ermittler im Berlin der Zwanziger- und Dreißigerjahre tummeln. Mir gefällt das sehr gut, ich mag es, wenn historische Zusammenhänge gekonnt in Romanhandlungen eingebaut werden; besonders wenn es sich um so dramatische Zeiten handelt wie jene. Ein paar dieser Ermittler, deren Werdegang ich höchst gespannt verfolge, möchte ich hier vorstellen.

Es sind unterschiedliche Charaktere, aber sie haben eines gemeinsam: Alle sind eigenbrötlerisch in ihrem Wesen, aber brillant in ihrer Arbeit. Schwierige Persönlichkeiten, zäh, aber an der Schwelle zu gescheiterten Existenzen; meistens bedingt durch den Lauf der Geschichte. Sie alle geraten gerne zwischen alle Stühle, besonders, wenn die Fälle politische Dimensionen annehmen. Und indem wir ihnen bei ihren Ermittlungen folgen, wird ein längst vergangenes Berlin wieder lebendig. Wir laufen mit ihnen durch Straßen, die heute so nicht mehr existieren, fühlen hautnah den technischen Wandel, den Umbau zu einer modernen Großstadt, und erleben die politische Radikalisierung mit, die Einzug hält bis tief hinein in die Polizeibehörden der Stadt.

Gereon Rath
Wer sind nun aber die genannten Ermittler? Natürlich Kriminalkommissar Gereon Rath, Held und Protagonist der Krimiserie des Autors Volker Kutscher. Galt der erste Band »Der Nasse Fisch« noch als Geheimtipp unter Krimilesern, so hat sich die Reihe mit dem nunmehr fünften Band »Märzgefallene« ein breites Lesepublikum erschlossen. Absolut zu Recht, denn wie der Autor die schleichenden Veränderungen in der Weimarer Republik als Hintergrundrauschen in die spannenden Fälle seines Protagonisten einbaut, ist ganz großes Kopfkino. Vor allem, da dieses politische Hintergrundrauschen immer lauter und schließlich unüberhörbar wird. Lange ignoriert oder spöttisch belächelt von Gereon Rath – bis auch er nicht mehr die Augen vor dem verschließen kann, was in seinem Land geschieht. Die Handlung von »Märzgefallene« spielt bereits im Jahr 1933, auf die weiteren Bände der Reihe führen tief hinein in die Finsternis.

Willi Kraus
Einen weiteren Kriminalkommissar habe ich erst vor Kurzem entdeckt, es ist Willi Kraus und der Autor Paul Grossman hat mit ihm einen ganz eigenen Charakter erschaffen. Kraus ist einer der wenigen jüdischen Ermittler in der Berliner Kripo und ist damit von vorneherein zum Außenseiter abgestempelt, trotz seiner zahlreichen Kampferfahrungen und Auszeichnungen als Offizier im ersten Weltkrieg. Denn im Kollegenkreis gehören antisemitische Sprüche zum guten Ton, erst als er im ersten Band »Kindersucher« einen besonders vertrackten, blutigen Fall löst, wird er respektiert. Zumindest vordergründig, denn es ist das Jahr 1929 und mehr und mehr seiner Kollegen, aber auch seiner Nachbarn und Bekannten zieht der aufkommende Nationalsozialismus in seinen Bann. Kraus wird Zeuge einer Rede Hitlers – eine großartig geschriebene Szene im ersten Band – und beginnt zu ahnen, was auf ihn und seine Familie zukommen wird. Der dritte Band »Schattenmann« spielt dann auch nicht mehr in Berlin, sondern 1933 im Exil in Paris. Durch die jüdische Herkunft des Protagonisten, seiner Frau und seiner beiden Söhne wirken die politischen Entwicklungen und das vergiftete zwischenmenschliche Klima noch unmittelbarer, eindringlicher und brutaler als in der Reihe um Gereon Rath. Ein Manko ist allerdings, dass einige historische Begrifflichkeiten nicht stimmen, worüber ein aufmerksamer Leser immer wieder stolpert; wie etwa wenn die Reichswehr der Weimarer Republik konsequent als Wehrmacht bezeichnet wird. Und insbesondere im zweiten Band ist die Schilderung der historischen Ereignisse stellenweise so unrealistisch, dass es schon fast ans Absurde grenzt.

Bernhard Gunther
Ein Veteran der Berliner Ermittler ist auf jeden Fall Bernhard »Bernie« Gunther. Die Berlin-Trilogie von Philip Kerr mit den Bänden »Feuer in Berlin«, »Im Sog der dunklen Mächte« und »Alte Freunde, neue Feinde« ist schon vor vielen Jahren erschienen, der erste Band 1989. Sie führt tief in das finstere Nazi-Deutschland. Gunther war ein Kriminaloberkommissar der Berliner Kripo, der die Umwandlung seiner Behörde zu einer skrupellosen Maschinerie der braunen Machthaber nicht mitmachen wollte, deshalb seinen Hut genommen hat und sich seitdem als Privatdetektiv mehr schlecht als recht über Wasser hält. Trotzdem kann er sich nicht ganz heraushalten, aufgrund seines Rufes als einer der besten Ermittler bekommt er es immer wieder mit hochrangigen Vertretern von Gestapo und SS zu tun, wenn diese einen Fall aufgeklärt haben wollen. Er hat keine Wahl, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen, wird, ohne es zu wollen dadurch selbst Teil des von ihm verachteten Systems. Diese Verstrickungen und Gunthers Zerrissenheit allen flapsigen Sprüchen zum Trotz hat Philipp Kerr glänzend herausgearbeitet. Wobei »glänzend« das falsche Wort ist für die Noir-Atmosphäre, so als würde Philipp Marlowe unter Nazis leben müssen. Nicht umsonst erhielt diese Trilogie den Oberbegriff Berlin Noir. In den letzten Jahren wurde die Reihe durch lose Ergänzungen weiter fortgesetzt, die zum einen beschreiben, wie es mit Gunther nach dem Krieg weiterging oder herausgelöste Episoden enthielten, die zwischen 1939 und 1945 spielen. Die Berlin-Trilogie ist ein großartiges Leseerlebnis, wenn man den Stil mag. Die Fortsetzungen sind eher durchwachsen, mal gelungen, mal weniger gelungen.

Andreas Eckart
Kommissar Andreas Eckart ermittelt im Berlin des Jahres 1921. Die Weimarer Republik ist noch jung, die Kriegsnarben sind noch frisch. Auch Eckart hat sie davongetragen. Zwar nicht äußerlich, doch seit er während des Krieges an der Westfront durch Artilleriebeschuss verschüttet wurde und nur wie durch ein Wunder überlebte, ist er hochgradig traumatisiert und morphiumsüchtig. Der Autor Martin von Arndt hat mit Kommissar Eckart einen entwurzelten Charakter geschaffen, durch den wir die frühen zwanziger Jahre in Berlin kennenlernen. Bisher ist erst der Band »Tage der Nemesis« erschienen und es bleibt zu hoffen, dass er der Auftakt zu einer Reihe sein wird. Denn der Roman hat es in sich, er führt uns in die Szene der Exil-Armenier, die vor der Verfolgung, der sie in der Türkei ausgesetzt waren, nach Berlin geflohen sind. Und dort einen Rachefeldzug an türkischen Staatsmännern starten, die an der Organisation des Völkermords an den Armeniern beteiligt waren und jetzt ebenfalls in Berlin leben. Eckart sticht in ein Wespennest internationaler Verstrickungen, deren Fäden in Berlin zusammenlaufen. Spannende Story, spannende Epoche, spannender Protagonist: Mehr davon bitte.

Robert Grenfeld
Und noch ein Berlin-Noir-Debut hatte mich vor kurzem sehr begeistert: Der Ermittler in Robert Baurs Roman »Mord in Metropolis« heißt Robert Grenfeld, ist ein ausgebrannter Kommissar, der seinen Job gekündigt hat und seinen Frust im Alkohol ertränkt. Bis ein Mord, der im Umfeld des gigantischen Filmprojekts »Metropolis« in den Babelsberger Filmstudios geschieht, seine Ermittlerfähigkeiten wieder anspringen lässt. Wir befinden uns im Jahr 1925 und der Leser folgt Grenfeld in ein Berlin des organisierten Verbrechens, der Ringvereine, der Exilrussen, die vor dem Sowjetregime geflohen waren und in »Charlottengrad« ihr Dasein fristeten, in ein Berlin der Armut und der Reichen, der gescheiterten Existenzen und in die Szene rechtsnationaler, militanter Splittergruppen. Aus all diesen Ingredienzien braut der Autor eine spannende Story, bei der das Mammutwerk Metropolis immer wieder im Mittelpunkt steht, sei es bei der Schilderung der Filmaufnahmen oder bei Verfolgungsjagden durch die futuristische Kulissenstadt. Auch Robert Grenfeld ist ein Ermittler des verschwundenen Berlins, von dem es hoffentlich bald noch mehr zu lesen geben wird.

Fünf Ermittler. Die sich kennen würden, wenn es sie wirklich gegeben hätte. Ein reizvoller Gedanke. Vielleicht wären sie Freunde gewesen, vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall sind sie alle in derselben Stadt unterwegs, sind oder waren in demselben Gebäude tätig – Kriminalpolizei am Alexanderplatz – , dieselben realen Personen tauchen in den verschiedenen Roman auf, wie etwa Ernst Gennat, der den Aufbau der Berliner Mordkommission maßgeblich geprägt hat oder Bernhard Weiß, Berlins Polizeivizepräsident während der Weimarer Republik . Alle fünf Ermittler erleben die Umbrüche der Zeit aus den verschiedensten Perspektiven. Und wir mit ihnen.

Bücherinformationen
Volker Kutschers Gereon Rath ermittelt in:
Der nasse Fisch; Der stumme Tod; Goldstein; Die Akte Vaterland; Märzgefallene

Paul Grossmans Willi Kraus ermittelt in:
Kindersucher; Schlafwandler; Schattenmann

Philip Kerrs Bernhard Gunther ermittelt in der Berlin-Trilogie:
Feuer in Berlin; Im Sog der dunklen Mächte; Alte Freunde, neue Feinde; dazu kommen weitere Bände mit losen Fortsetzungen

Martin von Arndts Andreas Eckart ermittelt bisher in: 
Tage der Nemesis

Robert Baurs Robert Grenfeld ermittelt bisher in:
Mord in Metropolis 

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9 Antworten auf „Berliner Ermittlungen“

  1. Danke. Das macht Lust aufs Lesen und Entdecken. Wenigstens den Kutscher nehme ich mir jetzt mal vor, der hier ungelesen auf meinem Bücherstapel sein Dasein fristet….

  2. Spannende Zusammenstellung! Kutscher steht schon lange auf meiner Leseliste, das ist jetzt mal ein guter Anreiz, endlich mit der Lektüre zu beginnen. Danke aber auch für die Hinweise auf die anderen Bücher, die mir bisher noch kein Begriff waren.

    1. Vielen Dank. Und um den Anreiz noch zu verstärken lohnt sich ein Besuch auf der Webseite http://www.gereonrath.de. Da kann man tief in die Epoche eintauchen, findet Infos über die Serie, aber auch ganz viele Quellenhinweise und beeindruckende Bilddokumente. Eine toll gemachte Seite, die auch zeigt, wie viel Recherchearbeit hinter einem gut gemachten Krimi mit historischem Hintergrund steckt.

  3. Lieber Uwe,
    das ist ein sehr guter Überblick über diese vielfältige Krimilandschaft des Berlin jener Epoche. Da gibt es für mich noch allerhand zu lesen und zu entdecken! Ich tauche bei Krimis allzuoft wieder in die englischen echten und neuen Klassiker des Genres ein, wie neulich eine donnish mystery von Michael Innes – die gleiche Zeit, aber ganz anders gefaßt.
    Viele Grüße
    Norman

    1. Vielen Dank. Ich muss gestehen, dass englische Krimiklassiker mir bisher fremd geblieben sind – aber das kann sich ja noch ändern. Die aufgezählten Bücher mag ich deswegen, weil sie Zeitreisen im Kopf ermöglichen. Und plötzlich läuft man mit einem ganz anderen Blick durch die Straßen Berlins…

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