In den Krieg gezogen

Avi Primor: Süß und ehrenvoll

1914. Zwei Männer ziehen in den Krieg. Der eine ist Deutscher, der andere Franzose. Beide sind jung und begeistert von dem großen Abenteuer, das auf sie wartet. Beide tragen den gleichen Vornamen, Ludwig und Louis. Und noch etwas haben sie gemeinsam: Beide stammen aus einer jüdischen Familie. Das ist die Ausgangslage des Romans »Süß und ehrenvoll« von Avi Primor, der den Leser durch die Hölle der Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs führt. Aber nicht das Kriegsgeschehen steht im Mittelpunkt der Erzählung, sondern die Suche der Protagonisten nach der eigenen Identität.

Ludwig Kronheim aus Frankfurt am Main stammt aus dem jüdischen Großbürgertum. Patriotismus wird in seiner Familie großgeschrieben, gerade vor dem Hintergrund des latenten, aber überall spürbaren Antisemitismus im deutschen Kaiserreich. Der Kriegsausbruch ist für Ludwig die Möglichkeit, sein Judentum und die Liebe zu seinem Vaterland zu vereinen und dadurch das Gefühl zu haben, endlich voll akzeptiert zu werden. Ein paar Jahre zuvor hatte er Abitur gemacht, der Krieg bricht aus, als er mitten in seinem Jurastudium steckt und sich frisch in seine Kommilitonin Karoline verliebt hat. Diese stammt aus einem nach außen liberalen Elternhaus, die Verbindung ihrer Tochter mit einem jüdischen Freund sehen ihre Eltern dennoch nicht gern. Im Verlauf des Krieges wird die Liebe zwischen den beiden immer tiefer. Und die Ablehnung der Eltern immer größer.

Louis Naquet aus Bordeaux stammt aus einer Bäckerfamilie, hat als erster der Familie das Abitur gemacht und ist gerade dabei, seinen Wehrdienst abzuleisten, als der Krieg ausbricht. Seine Einheit wird direkt an die Front versetzt. Obwohl die jüdische Gemeinde in Bordeaux in der Vergangenheit wenig unter Repressalien zu leiden hatte, war die Welle des Antisemitismus, die im Zuge der Dreyfus-Affäre einige Jahre zuvor über ganz Frankreich hinwegschwappte, nicht vergessen. Auch Louis hat unterschwellig das Gefühl beweisen zu müssen, dass er bereit ist, alles für sein Frankreich zu geben.

Ludwig und Louis überleben die ersten Wochen des Krieges, als die unerfahrenen Rekruten reihenweise von Maschinengewehren niedergemäht werden – der moderne Krieg zeigt sein Gesicht und wischt die Träume von ritterlichen und ruhmreichen Kämpfen brutal beiseite. Beide werden im Laufe der Zeit zu erfahrenen Kämpfern, beide werden verwundet, befördert und von Schlachtfeld zu Schlachtfeld geschickt. Historisch genau schildert der Autor den Verlauf des Krieges, spart dabei nicht mit grausigen Details. Ludwig und Louis begegnen sich im Verlauf der Handlung zwei Mal – einmal schütteln sie sich die Hände. Beide sind verblüfft, auf jüdische Soldaten auch auf der anderen Seite zu treffen, doch trotzdem zweifeln beide nicht an der Gerechtigkeit ihrer jeweiligen Sache.

Die Geschichte ist mitreißend und spannend erzählt, auch wenn die Dialoge manchmal ein wenig hölzern wirken. Ein wichtiges Gestaltungselement sind die Briefe, welche die beiden Protagonisten ihren Familien und ihren Liebsten schicken. Durch sie wird die Handlung stetig weiter vorangetrieben, Hoffnungen und Ängste schimmern durch den schrecklichen Kriegsalltag. Und die Hoffnung, durch ihren Einsatz den jüdischen Minderheiten einen festen und voll akzeptierten Platz in der Gesellschaft zu erkämpfen, gegen alle Ressentiments und Vorurteile.

Am Ende des verheerenden Krieges scheint sich diese Hoffnung zu erfüllen. In einer französischen wie in einer deutschen Synagoge finden patriotische Gedenkgottesdienste zu Ehren der gefallenen jüdischen Soldaten statt. Dazu geben sich auch die Oberbefehlshaber der jeweiligen Armeen die Ehre: In Frankreich ist Marschall Pétain dabei anwesend, in Deutschland Generalfeldmarschall Hindenburg. Der eine sollte 15 Jahre später einen ehemaligen Gefreiten zum Reichskanzler ernennen. Der andere würde 24 Jahre später seine jüdischen Landsleute einem verbrecherischen Regime ausliefern. Aber das wusste 1918 noch niemand.

Mit der Schilderung der Gedenkgottesdienste endet der Roman. Was aus Ludwig und Louis geworden ist? Am besten selbst lesen, das Buch lohnt sich. Sehr.

Auf Deutschlandradio Kultur gab es einen hochinteressanten Beitrag zum Thema. Und auf einestages, der zeitgeschichtlichen Seite von Spiegel online, gibt es ein Interview mit dem Autor.

Dies ist ein Titel aus dem Leseprojekt Erster Weltkrieg.

Buchinformation
Avi Primor, Süß und ehrenvoll
Quadriga Verlag
ISBN 978-3-86995-058-7

#SupportYourLocalBookstore

2 Antworten auf „In den Krieg gezogen“

    1. Bisher hatte ich alles Zuhause. In diesem Fall war es allerdings eine freundliche Leihgabe nur für das Photo. Ein Museumsstück, nicht funktionsfähig…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert