Das Buch »Vaterland« von Robert Harris ist mir während meiner Buchhändlerlehre in den Neunzigern in die Hände gefallen und es hat mich bis heute nicht losgelassen. Es fängt an wie ein Krimi-Klischee: An einem trostlosen, verregneten Morgen wird die Leiche eines älteren Mannes in der Berliner Havel gefunden. Der Kripo-Ermittler Xaver März – was für ein Name! – untersucht den Tatort. März scheint wie aus einem Noir-Krimi entsprungen, desillusioniert, geschieden, zynisch, die Whiskyflasche im Schreibtisch, eine gescheiterte Existenz. „Im Reich der Finsternis“ weiterlesen
Die Macht des Zinseszins
Um das Buch »Eine Billion Dollar« von Andreas Eschbach bin ich jahrelang herumgeschlichen. Aus irgendeinem Grund konnte ich mich nicht dazu entschließen, es zu kaufen. Vielleicht hat mir der Umschlag nicht gefallen? Ich weiß es nicht mehr. An der Geschichte jedenfalls kann es nicht gelegen haben: Eine Zeit lang habe ich das das Buch, wann immer ich es in einer Buchhandlung sah, aus dem Regal genommen und die ersten Seiten gelesen. Einfach nur, weil ich den Anfang so mochte. Dann habe ich es irgendwann endlich käuflich erworben und bin seitdem völlig begeistert davon. „Die Macht des Zinseszins“ weiterlesen
Simone de Beauvoir in Melbourne
Im März 1993 stand ich in einer Schlange vor einem Schalter des Hauptpostamts in Melbourne. Ich reiste gerade drei Monate durch Australien und wollte dort nach postlagernden Briefen für mich fragen. Heute, in Zeiten von Skype, WhatsApp oder Facetime mag das seltsam klingen, doch damals war es die normale Art und Weise, mit Freunden und Familie daheim in Verbindung zu bleiben, wenn man längere Zeit ohne bestimmtes Ziel unterwegs war. Das Schöne daran war, dass man so richtig weg und wenn man wollte, unerreichbar sein konnte. „Simone de Beauvoir in Melbourne“ weiterlesen
Roadmovie durch die Apokalypse
Seit »All die schönen Pferde« und »No Country for Old Men« gehörte Cormac McCarthy für mich sowie schon zu den ganz Großen der US-amerikanischen Gegenwartsliteratur. Dann habe ich »Die Straße« in die Hände bekommen. Ein unglaubliches Buch. 253 Seiten. Also eigentlich nicht dick, zwei Abende, höchstens. Ich habe eine Woche dafür gebraucht, der Text ist wie ein permanenter Faustschlag und ich musste immer wieder aufhören zu lesen, um mich davon zu erholen und die Handlung sacken zu lassen. „Roadmovie durch die Apokalypse“ weiterlesen
Berliner Luft
Ich lese gerne Krimis. Das ist ein Genre, in dem sich die Spreu vom Weizen trennt. Der Markt ist voll mit platten Thrillern, aufgepeppt mit Blut, Brutalität und unglaubwürdiger Action. Aber in dem ganzen Altpapier-Dschungel gibt es auch immer wieder fantastische Entdeckungen, manchmal sogar ganze Goldminen an spannender Literatur. Wie etwa die Krimiserie rund um den Ermittler Gereon Rath von Volker Kutscher. „Berliner Luft“ weiterlesen
Midlifecrisis rockt
Oh je, eine Midlifecrisis-Story. Das wäre mein Gedanke gewesen, wenn ich das Buch »So viel Zeit« von Frank Goosen mit Anfang zwanzig oberflächlich durchgeblättert hätte: Fünf Schulfreunde, deren Leben völlig unterschiedlich verlaufen sind, gründen mit Mitte vierzig eine Rockband, um so ihre privaten Krisen zu kompensieren. Zum Glück gab es dieses wunderbare Buch damals noch nicht, es ist erst viel später erschienen und zwar zu einem Zeitpunkt, als ich mich dem Alter der Protagonisten langsam annäherte. „Midlifecrisis rockt“ weiterlesen
Leipziger Träumerei
Als sich 1990 die DDR einfach in Luft auflöste, blieben als Vermächtnis des real existierenden Sozialismus ganze Ruinenfelder einst prächtiger Städte und zahllose Menschen mit ungewissen Zukunftsaussichten zurück. An manchen Orten, wie etwa in den Leipziger Stadtteilen Volkmarsdorf, Reudnitz oder Stötteritz sah es aus wie kurz nach dem Krieg: Zerbröselnde Hausfassaden, Risse in den Wänden, kaputte Straßen, alles Grau in Grau und darüber der Geruch der Braunkohleöfen, mit denen ein Großteil der Leipziger Wohnungen geheizt wurde. Dazu das Rattern der 40 Jahre alten Straßenbahnen aus tschechischer Produktion, die damals für den gesamten Ostblock gefertigt worden waren. Das 2006 erschienene Buch »Als wir träumten« von Clemens Meyer ist die Geschichte von vier Freunden, die im Leipzig der Nachwendezeit als junge Erwachsene genau dort zu Hause sind. „Leipziger Träumerei“ weiterlesen
Positiv denken mit Franz Kafka*
Es gibt Momente im Leben, die sind von solch unglaublich kristallener Klarheit, als wäre gerade ein Vorhang weggezogen worden, der die Gedanken blockiert hatte. Solche Schlüsselmomente sind selten, daher bleiben sie meist sehr lange in Erinnerung. Als ich im Frühjahr 1991 lesend im Kaffeehaus saß, habe ich einen solchen erlebt. „Positiv denken mit Franz Kafka*“ weiterlesen
Wie ich Herrn Lehmann traf
DAS Lieblingsbuch gibt es nicht. Aber »Herr Lehmann« von Sven Regener kommt dem schon sehr nahe. Alles fing damit an, als ich im Frühjahr 2001 Post bekam. Es war ein Bücherpäckchen von einer Freundin, die zu diesem Zeitpunkt gerade beim Eichborn-Verlag arbeitete. Darin war ein Leseexemplar von »Herr Lehmann« und ein Kärtchen, auf dem stand, das mir dieses Buch bestimmt gefallen würde. Das Problem: Im Frühjahr 2001 und besonders gerade zu dem Zeitpunkt, als mir dieses Buch in den Schoß fiel, war ich mitten in der heißen Phase meiner Diplomarbeit und hatte eigentlich absolut gar keine Zeit zum Lesen. „Wie ich Herrn Lehmann traf“ weiterlesen
Ex libris
Jetzt also einen Blog. Dann fange ich mal an.
Wir leben in einer spannenden Zeit. Als 1969 Geborener habe ich als Kind noch erlebt, wie ein Schrankenwärter an einer Bahnstrecke die Schranke heruntergelassen hat. Ich habe tatsächlich noch die letzten Dampfloks in meiner Erinnerung, außerdem natürlich Wählscheibentelefone, Schwarz-Weiß-Fernseher mit drei Programmen, stinkendes Matrizenpapier in der Schule und die Arbeit mit Karteikarten während meiner Buchhändlerlehre.
1993 sah ich das erste Mobiltelefon: Es war im Bankenviertel von Sydney, wo mir ein Mann in Businesskleidung entgegenkam, der laut in einen großen Kasten brüllte, den er sich ans Ohr presste. Das ist jetzt etliche Jahre her und seitdem ist die Welt eine andere geworden. Und ein Ende der technischen Umwälzungen ist überhaupt nicht abzusehen. Irgendwo habe ich den Satz aufgeschnappt: »Wenn das Internet der Buchdruck wäre, würden wir gerade im Jahr 1460 leben.« Es bleibt also spannend.
Was mich durch alle Veränderungen begleitet hat und begleiten wird, das sind meine Bücher. Ich habe keine Ahnung, wie es ist, ohne ein Buch in der Tasche aus dem Haus zu gehen, weil ich das noch nie gemacht habe. Okay, so gut wie nie. Es gibt eigentlich immer ein Buch, das ich gerade lese. Und natürlich neigen Bücher dazu, ständig mehr zu werden. Ist eines fertig gelesen, sind in der Zwischenzeit mindestens zwei, drei, vier neue dazu gekommen. Ich kann gar nicht anders. Und ich liebe es, mich vor das überquellende Bücherregal zu stellen und zu überlegen, was ich als nächstes lese. Bücher herauszuziehen, darin zu blättern, den Anfang zu lesen, ein anderes Buch zu nehmen. So lange, bis die Entscheidung getroffen ist.
Ich stelle in meinem Blog Kaffeehaussitzer Bücher und Texte vor, die ich gerne gelesen habe. Die mich begeistert, inspiriert, bewegt, fasziniert oder nachdenklich gemacht haben. Die mir etwas bedeuten.
Bin gespannt, was da so zusammen kommt.