Gerne wird momentan von der abendländischen Kultur Europas geredet, um unsere Identität gegenüber Menschen aus anderen Kulturkreisen abzugrenzen. Und gerne wird dabei auf den christlich-jüdischen Hintergrund unserer kulturellen Entwicklung hingewiesen. Dabei drücken diese Wörter eine Symbiose aus, die es so nie gab; die vor dem Hintergrund eines jahrtausendealten europäischen Antisemitismus wie blanker Hohn wirkt. Es ist eher so, dass in Europa trotz aller Anfeindungen und Verfolgungen eine lebendige jüdische Kultur existierte, die erst durch den industrialisierten Massenmord des Holocaust so dezimiert wurde, dass sie heute nur noch vage wahrnehmbar und in vielen Gegenden – insbesondere Osteuropas – vollkommen verschwunden ist. Zwei Bücher möchte ich hier vorstellen, eines, das auf eindrucksvoll photographierte Art und Weise letzte Spuren dieser Welt zeigt, Zeugnisse des Verfalls und des endgültigen Verschwindens. Und eines, das uns an jene verschwundene Welt in seltenen Photographien erinnert. „Europas offene Wunde“ weiterlesen
Heimatlose Schachspieler
Vor einiger Zeit unterhielt ich mich mit dem Buchhändler in einer der Buchhandlungen meines Vertrauens. Wir sprachen über Paris, über die Magie und Schönheit dieser Stadt und er bekam leuchtende Augen, hatte er doch dort eine Weile gelebt. Außerdem zog er das Buch »Der Club der unverbesserlichen Optimisten« von Jean-Michel Guenassia aus dem Regal und empfahl es mir. Ich kaufte es sofort. Aufgrund des Covers und des Klappentextes hätte ich es niemals gelesen, deutete beides eher auf eine etwas seichte Liebesgeschichte mit ein bisschen Lokalkolorit aus dem Paris der 60er-Jahre hin. Aber da wäre mir etwas entgangen, denn weder Coverphoto noch der Text auf der Rückseite werden dem Buch gerecht.
Es ist eine äußerst vielschichtige Handlung, erzählt in einem Plauderton voller Tiefgang. Und es ist kein Liebesroman, sondern es geht vor allem um das Gefühl der Heimatlosigkeit. Um die Verlorenheit. Um Schicksale von Emigranten aus dem Ostblock zu Zeiten des Kalten Krieges. Um das Zerbrechen einer Pariser Oberschichten-Familie. Es geht um Literatur, um Ideologien, um den Existenzialismus. Um Schach. Um das Aufwachsen. Und – ja, natürlich doch – um die Liebe. „Heimatlose Schachspieler“ weiterlesen
Gefangene der Geschichte
Was weiß ich über Bulgarien? Nicht wirklich viel, um ehrlich zu sein. Früher ein ärmlicher, grauer Ostblock-Staat, heute ein Land, das sich zwar offiziell eine Demokratie nennt, aber unter den Auswirkungen von Korruption und organisiertem Verbrechen leidet; so meine Wahrnehmung. Ein europäisches Land, und trotzdem viel weiter weg als manche Ziele in Übersee. Mit Ilija Trojanows Buch »Macht und Widerstand« rückt Bulgarien plötzlich mitten hinein ins Bewusstsein – auch wenn man Trojanows Werk ebenso als eine allgemeingültige Parabel über das Leben und Überleben in einer Diktatur lesen kann. „Gefangene der Geschichte“ weiterlesen
Graf Draculas Osteuropa
Heute schreibe ich etwas über einen Vampirroman. Halt, halt, jetzt bitte nicht wegklicken, »Der Historiker« von Elizabeth Kostova ist ernstzunehmende Literatur ganz im Sinne von Bram Stoker. Das Buch transportiert grandios die Graf-Dracula-Geschichte in die Neuzeit, ins ausgehende 20. Jahrhundert und verknüpft sie mit den politischen Gegebenheiten und den Umwälzungen in den osteuropäischen Staaten. Zwei Dinge stehen im Mittelpunkt der Erzählung: Eine Suche nach der Wahrheit und eine Liebeserklärung an die verwunschene Atmosphäre der Länder Osteuropas. „Graf Draculas Osteuropa“ weiterlesen