Heimkommen. Ein Textbaustein*

Graham Norton: Heimweh

Es gibt diese Textstellen, die einen beim Lesen innehalten lassen. Über die man geradezu stolpert, die man noch einmal liest und ein weiteres Mal. Und die einem danach nicht mehr aus dem Kopf gehen. Eine solche Stelle ist mir im Roman »Heimweh« von Graham Norton begegnet. Es ist eine Schlüsselszene des Romans: Der über fünfzigjährige Connor Hayes kehrt nach jahrzehntelanger Abwesenheit nach Mullinmore zurück; es ist ein kleiner Ort in Irland, irgendwo in der Gegend von Cork. Als er sich in seinem Mietwagen langsam der Landschaft nähert, in der er aufgewachsen ist, als die Straßen, die Felder, die in der Luft liegende Stimmung immer vertrauter werden und trotzdem vage fremd bleiben, als er das Städtchen vor sich sieht, in dem vor langer Zeit sein unstetes Leben den Anfang nahm – da fallen sie, die beiden Sätze. „Heimkommen. Ein Textbaustein*“ weiterlesen

Auf Rattenjagd

Der Spruch von den Ratten, die das sinkende Schiff verlassen, hat sich selten in einer solchen Dimension bewahrheitet wie nach dem Zusammenbruch der Nazi-Diktatur im Jahr 1945. Unzählige Täter tauchten unter, vielen gelang es, das von ihnen zerstörte Europa zu verlassen und besonders in südamerikanischen oder arabischen Ländern Zuflucht zu finden. Hier siegte Politik über Gerechtigkeit: Anstatt so viele Nazis wie möglich an den verdienten Galgen zu bringen, duldeten die alliierten Geheimdienste den Mörder-Exodus, wenn sie ihn nicht gar unterstützten. Denn mit dem Triumph Sowjetrusslands und dessen Griff nach großen Teilen Osteuropas war eine neue Bedrohung der westlichen Welt am Horizont erschienen. Der Beginn des kalten Krieges zeichnete sich ab und flüchtende SS-Leute waren plötzlich potenzielle Verbündete im Kampf gegen den Bolschewismus. Natürlich nicht offiziell, aber es etablierten sich feste Fluchtrouten, etwa über die Alpen zu den italienischen Häfen. Mit tatkräftiger Unterstützung der katholischen Kirche und des italienischen Roten Kreuzes. Dies waren die sogenannen »Rattenlinien«.

Der gesamte Aspekt der Täterflucht aus Europa ist bisher nur wenig erforscht, bis heute liegen etliche Zusammenhänge im Dunkeln. Umso spannender ist daher, sich mit zwei Romanen dieser Zeit und diesem Thema zu nähern. Es sind dies »Rattenlinien« des Autors Martin von Arndt sowie »Der vierte Mann« von Stuart Neville. „Auf Rattenjagd“ weiterlesen

Irische Schicksalsjahre

Sebastian Barry: Ein langer, langer Weg

Für Irland waren die Jahre zwischen 1914 und 1918 in besonderer Weise schicksalhaft. Seit Jahrhunderten litt das verarmte Land unter dem Joch der englischen Herrschaft, doch kurz vor dem ersten Weltkrieg war zum ersten Mal konkret von einer Politik der Selbstbestimmung die Rede. Tausende von jungen Männern meldeten sich daher 1914 freiwillig für die englische Armee, in der Hoffnung, dass Irland als Anerkennung für seinen Einsatz an der Seite Englands ein autonomer Teil des britischen Commonwealth würde. Allerdings stellten sich insbesondere die englandtreue Bevölkerung der nordirisichen Region Ulster und die konservativen Kräfte Englands gegen eine solche politische Entwicklung, es kam schon damals zu ersten Unruhen in der Bevölkerung.In dieser Zeit spielt der Roman »Ein langer, langer Weg« von Sebastian Barry. „Irische Schicksalsjahre“ weiterlesen