Oh je, eine Midlifecrisis-Story. Das wäre mein Gedanke gewesen, wenn ich das Buch »So viel Zeit« von Frank Goosen mit Anfang zwanzig oberflächlich durchgeblättert hätte: Fünf Schulfreunde, deren Leben völlig unterschiedlich verlaufen sind, gründen mit Mitte vierzig eine Rockband, um so ihre privaten Krisen zu kompensieren. Zum Glück gab es dieses wunderbare Buch damals noch nicht, es ist erst viel später erschienen und zwar zu einem Zeitpunkt, als ich mich dem Alter der Protagonisten langsam annäherte.
Aber trotzdem war es eher Liebe auf den zweiten Blick. Beim ersten Mal lesen bin ich nicht ganz in die Story hineingekommen, aber die Stimmung und die Sprache der Geschichte blieben im Kopf. Ich gehöre zu den Leuten, die Bücher auch gerne mehrmals lesen und so habe ich ein Jahr später noch einmal den Versuch gemacht – und war begeistert. Es geht schlicht und ergreifend um die Macht der Musik und um Träume, die man hatte, als man jung war.
Frank Goosen schreibt: »Aber wenn er es recht bedachte, war da viel mehr. In genau diesem Moment wurde ihm klar, dass Musik einem das Leben retten konnte. Es brachte einen in Kontakt zu jemanden, den man früher gekannt hatte, dem Jemand, der man gewesen ist, bevor man der wurde, der man jetzt war. Und das gab einem die Kraft, überfällige Dinge endlich zu tun.« Musik hilft einem, sich selbst treu zu bleiben. Darum geht es in dem Buch. Und »So viel Zeit« ist schon vergangen, bis die Helden der Geschichte aufwachen und dies erkennen. Und dann ihr Ding machen. Dabei zerbrechen Beziehungen, neue entstehen, offene Fragen der Vergangenheit werden geklärt und alte Rechnungen beglichen. Also irgendwie doch eine Midlifecrisis-Story. Aber eine absolut großartig geschriebene.
Dazu ein fulminanter Schluss, den ich hier gut zitieren kann, ohne etwas von der Geschichte zu verraten: »Der Wirt bringt die vier Pinnchen. Wir alle starren auf dieses durchsichtige Zeug und hoffen, es möge Wasser sein, aber es ist guter, starker russischer Wodka. Wir wissen, wir sollten das jetzt nicht trinken. Dies ist der eine Schluck zu viel, der, der uns das Genick bricht. Es ist ungesund, das Zeug hinunterzukippen, aber es ist auch ungesund, überhaupt auf die Welt zu kommen und so viel Zeit totschlagen zu müssen, so viele Erinnerungen zu produzieren, so viel Leben in sich zu haben, also stoßen wir an und hoffen, dass alles gut wird.«
Genau so ist es.
Buchinformation
Frank Goosen, So viel Zeit
Heyne Taschenbuch.
ISBN 978-3-453-40582-0
#SupportYourLocalBookstore
Frank Goosen ist super!
Auch ‚Pokorny lacht‘ und seine ‚Raketenmänner‘.
Yep. „Liegen lernen“ hat mir ebenfalls gut gefallen.