Berliner Luft

Gereon Rath Krimireihe

Ich lese gerne Krimis. Das ist ein Genre, in dem sich die Spreu vom Weizen trennt. Der Markt ist voll mit platten Thrillern, aufgepeppt mit Blut, Brutalität und unglaubwürdiger Action. Aber in dem ganzen Altpapier-Dschungel gibt es auch immer wieder fantastische Entdeckungen, manchmal sogar ganze Goldminen an spannender Literatur. Wie etwa die Krimiserie rund um den Ermittler Gereon Rath von Volker Kutscher.

Ganz bewusst stelle ich hier nicht nur ein Buch vor, sondern die ganze Reihe. Zum einen bauen die Geschichten in loser Form aufeinander auf, zum anderen liest man sowieso alle Bände, wenn man erst einmal damit angefangen hat. Die Hauptperson, Kriminalkommissar Gereon Rath musste sich von Köln nach Berlin versetzen lassen, da er sich in seiner Heimatstadt mit der örtlichen Zeitungsdynastie angelegt hat, die ihm daraufhin das Leben schwer machte. Also tritt er im Berliner Polizeipräsidium am Alexanderplatz seine neue Stelle an. Im März 1929.

Berlin gleicht einem brodelnden Hexenkessel: Krasse Gegensätze zwischen Arm und Reich, die Folgen der Weltwirtschaftskrise, organisiertes Verbrechen, illegale Clubs, Amüsiertempel aller Preisklassen und auf den Straßen Autos, Busse, Pferdefuhrwerke, und überall Menschen, Menschen, Menschen. Dazwischen zunehmend Auseinandersetzungen zwischen Nazis und Kommunisten, die noch ganz unbestimmt am Horizont das Ende der Weimarer Republik erahnen lassen. Wir als Leser wissen, welches Unheil auf die Stadt, auf unser Land zukommen wird.

Gereon Rath ist mittendrin und ermittelt in Mordfällen. Er findet in der Stadt neue Freunde, macht sich neue Feinde, verliebt sich, hat Erfolge, sitzt zwischen allen Stühlen, macht Fehler, lebt. Die Details der Zeit sind unglaublich liebevoll und gründlich recherchiert, ohne dabei aufgesetzt zu wirken. Dies verleiht den Büchern eine ganz besondere Atmosphäre, für mich ist das immer wie eine Zeitreise im Kopf. Bisher sind vier Bände erschienen: »Der nasse Fisch« (2007), »Der stumme Tod« (2009), »Goldstein« (2010) und »Die Akte Vaterland« (2012). Zum genauen Inhalt der Geschichten möchte ich hier gar nichts schreiben. Hierfür gibt es nämlich die schön gemachte Seite gereonrath.de, auf der man nicht nur Informationen zu den Büchern findet, sondern auch viele Photos aus dem Berlin der 20er Jahre.

Der Autor Volker Kutscher – den ich ausführlich interviewen durfte – sieht seine Buchreihe als Projekt, mit dem er den Untergang der Weimarer Republik literarisch in eine Krimiserie verpackt darstellen will – und das gelingt ihm auch perfekt. Existiert das politische Geschehen zu Beginn nur am Rand, tauchen von Band zu Band immer unheilvollere Töne auf, fügen sich unterschwellig mehr und mehr in die Handlung ein, bis sich politische Entwicklungen entscheidend auf diese auswirken.

Für mich sind diese Krimis immer Lese-Highlights, im November 2014 ist der fünfte Band in die Buchhandlungen gekommen, »Märzgefallene« heißt er. Die Atmosphäre in Berlin und Deutschland beginnt darin immer unangenehmer zu werden und Gereon Rath muss sich entscheiden, wo er steht.

Nachtrag: Im November 2016 ist der sechste Band »Lunapark« erschienen. Er spielt 1934, als sich letzte Hoffnungen verflüchtigen. 2018 folgte dann »Marlow«. Und 2020 »Olympia«.

Die Reihenfolge der Gereon-Rath-Romane von Volker Kutscher
Der nasse Fisch
KiWi Taschenbuch, ISBN 978-3-462-04022-7
Der stumme Tod
KiWi Taschenbuch. ISBN 978-3-462-04212-2
Goldstein
KiWi Taschenbuch. ISBN 978-3-462-04323-5
Die Akte Vaterland
KiWi Taschenbuch. ISBN 978-3-462-04646-5
Märzgefallene
KiWi Taschenbuch. ISBN 978-3-462-04903-9
Lunapark
Kiepenheuer & Witsch. ISBN 978-3-462-04923-7
Marlow
Piper Verlag, ISBN 978-3-492-05594-9
Olympia
Piper Verlag, ISBN 978-3-492-07059-1
Transatlantik
Piper Verlag, ISBN 978-3-492-07177-2

Außerdem gibt es „Der nasse Fisch“ auch als aufwendig gestaltete Graphic Novel. Sehr empfehlenswert.

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15 Antworten auf „Berliner Luft“

  1. Hi Uwe,

    da dieser Beitrag die ersten vier Bände behandelt, klinke ich mich einfach mal hier ein, denn ich habe gestern den vierten Band beendet und kann deine Meinung zu dieser Reihe einfach teilen. Ich bin ebenfalls kein Fan von diesen ganzen Krimis mit viel Gekröse und möglichst viel Effekt (mit Ausnahme die Reihe um den Forensiker David Hunter). Hier aber ist eine Reihe, die das Kriminalistische und die auf Aufklärung in den Vordergrund stellt und ganz nebenbei die Geschichte des Untergangs der Weimarer Republik mit einflechtet (zumindest bis Bald 4, ab da ist es ja vorbei mit der Demokratie – und ich finde es erschütternd, wie ähnlich manches klingt, wenn man es mit heute vergleicht).

    Mit Gereon Rath hat Kutscher eine Figur mit Ecken und Kanten geschaffen und das ganze Ensemble wirkt überhaupt sehr lebendig und wächst mit von Band hi Band immer mehr ans Herz.

    Die Akte Vaterland im Speziellen hat mir mit deinem vielschichtigen Plot sehr gut gefallen, der durch eben diese Vielschichtigkeit einige falsche Fährten gelegt hat und nebenbei noch einen Landstrich in den Blickpunkt gerückt hat, dessen Kultur durch Naziherrschaft nicht mehr existiert bzw nicht so, wie es hätte sein können. Alles in allem eine bis hierhin starke Reihe.

    Märzgefallene wurde selbstverständlich gleich. begonnen und der Sog ist ebenfalls gleich wieder vorhanden.

    Viele Grüße vom ehemaligen glücklichen Leser
    Marc

    1. Hallo Marc,

      schön, von Dir zu lesen. Und schön, dass Dir die grandiose Gereon-Rath-Reihe ebensogut gefällt wie mir. Dieses Jahr im Herbst soll der zehnte und letzte Band erscheine. Bin schon sehr gespannt.

      Viele Grüße
      Uwe

  2. Frage: Sollte man mit dem ersten Band anfangen oder spielt das keine Rolle? Aufgrund der vielen Lobeshymnen habe ich vor zumindest mehrere Bücher von Volker Kutscher zu lesen.

    1. Die Bände bauen aufeinander auf und daher würde ich sehr dazu raten, mit Band 1 zu beginnen. Und wenn man sie in der chronologischen Reihenfolge liest, entfalten sie ihre volle Wirkung – die erst langsame, dann immer schnellere politische und gesellschaftliche Veränderung auf dem Weg in die Dunkelheit des »Dritten Reiches«.

  3. Ich bin schon länger, auch aufgrund der begeisterten Besprechungen hier, um die Serie herumgeschlichen, habe mich aber noch nicht zum Lesen entschlossen, weil Krimis eher nicht mein Fall sind. Die Zeit, in der die Serie spielt, interessiert mich wiederum brennend. Als ich vor Kurzem das erste Mal in Berlin war, ist nun die Zeit gekommen. Natürlich musste ich „Der nasse Fisch“ in Berlin kaufen. Und ich bin begeistert, kann das Buch kaum noch aus der Hand legen. Die anderen Bände werden sicher bald folgen. Schade nur, dass es von den ersten anscheinend kein Hardcover mehr gibt.
    Viele Grüße,
    Katharina

    1. Das freut mich jetzt so richtig!
      Und die Bemerkung mit den Hardcovern kann ich sehr gut nachvollziehen – vielleicht findet man sie noch auf Booklooker.de

      Eine gute Lesezeit mit dieser Serie und viele Grüße
      Uwe

  4. Der Tipp ist Gold wert. Ich habe den ersten Teil verschlungen, und mir heute direkt den zweiten geholt. Endlich wieder eine Reihe auf die ich mich von herzen freuen kann.

    Liebe Grüße und einen schönen Feierabend

  5. Ich habe „Der nasse Fisch“ gelesen, „Die Akte Vaterland“ steht in meinem Regal. Ich mochte die Milieu- und Zeitgeschichtsschilderung des ersten Bandes, habe die Serie dann aber etwas aus dem Blick verloren. Bin also (noch) kein richtiger Fan…

    1. Ich war gleich von Anfang an sehr angefressen von der Serie. Es ist genau diese liebevoll detaillierte Milieuschilderung, die es mir angetan hat. Auch wie zwischen den Zeilen das politische Klima nach und nach extremer wird und man als Leser natürlich weiß, in was für einem Verhängnis es enden wird. Das hat der Autor ziemlich gut hinbekommen, finde ich. Freue mich schon auf den nächsten Band, der hoffentlich im Frühjahr erscheinen wird.

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