Achtzig Jahre sind ein Buch

Robert Seethaler: Ein ganzes Leben

Andreas Egger lebt achtzig Jahre lang in einem Hochtal der österreichischen Alpen. Der Schriftsteller Robert Seethaler erzählt auf 155 Seiten seine Geschichte, »Ein ganzes Leben« ist der Titel dieses großartigen Buches. Ich hatte schon viel davon gehört, es lag auch schon längst bereit, aber ich wartete auf einen ruhigen Moment. Letztes Wochenende hatte ich eine sechsstündige Zugfahrt vor mir, das schien perfekt. Nach fünf Stunden war ich damit durch und die restlichen sechzig Minuten verbrachte ich damit, über das nachzudenken, was ich gerade gelesen hatte. „Achtzig Jahre sind ein Buch“ weiterlesen

Erst schießen, dann fragen

Bruce Holbert: Einsame Tiere

Den Wilden Westen betrachtet man gemeinhin als eine Epoche des 19. Jahrhunderts. Nach der Lektüre von Bruce Holberts »Einsame Tiere« weiß ich, dass dies nicht stimmt. Der Roman spielt zu Beginn der 1930er-Jahre im Okanogan County, einer abgelegenen Gegend nahe Kanada im US-Bundesstaat Washington. Auf den ersten Blick meint man, dass auch hier moderne Zeiten angebrochen sind, es gibt schließlich Elektrizität, Autos, Mähdrescher und Telefone. Aber es ist ein Grenzland. Und zwar gleich auf dreifache Weise. Die Grenze zwischen den USA und Kanada verläuft hier. Indianerreservation und Farmland der Weißen stoßen aneinander. Und die Vergangenheit des Wilden Westens grenzt an das 20. Jahrhundert. „Erst schießen, dann fragen“ weiterlesen

Im Rausch der Sprache

Lutz Seiler: Kruso

174 Tote, 4522 Festnahmen. Das sind die Menschen, die versuchten, aus dem großen Gefängnis, dass sich Deutsche Demokratische Republik nannte, über die Ostsee zu entkommen. Nach Dänemark, dessen Küste von der Insel Hiddensee aus am Horizont zu sehen ist. Dazwischen das Meer. Eine unüberwindlich wirkende Barriere, doch gleichzeitig die Verheißung von Freiheit unter einem grenzenlosen Himmel. Hiddensee lag irgendwo dazwischen, nicht mehr ganz das Festland mit all seinen Zwängen, aber auch nicht wirkliche Freiheit angesichts der Patrouillenboote und Suchscheinwerfer. Doch eine kleine Welt für sich, mit eigenen Regeln. Lutz Seiler erzählt in seinem Buch »Kruso« die Geschichte von Edgar Bendler, genannt Ed, der im Sommer 1989 auf dieser Insel strandet. „Im Rausch der Sprache“ weiterlesen

In Bewegung bleiben

Nic Pizzolatto: Galveston

»Du wirst geboren und vierzig Jahre später humpelst du aufgeschreckt von deinen Wehwehchen aus einer Bar. Niemand kennt dich. Du fährst über nachtschwarze Highways und erfindest ein Ziel, denn es kommt darauf an, in Bewegung zu bleiben. Deshalb steuerst du auf das Letzte zu, was du zu verlieren hast, ohne eine Ahnung, was du damit anfangen sollst.« Klingt ziemlich düster. Ist es auch. So wie es eben sein muss, denn Nic Pizzolatto hat mit »Galveston« einen ganz und gar großartigen Noir-Krimi geschrieben. „In Bewegung bleiben“ weiterlesen

Jeder Mensch ist eine Insel

Jan Costin Wagner: Tage des letzten Schnees

Der Roman »Tage des letzten Schnees« von Jan Costin Wagner beginnt mit einem schweren Autounfall, bei dem ein elfjähriges Mädchen stirbt. Den Leser lässt dieser Einstieg sprach- und hilflos zurück, die Situation ist emotional so nah beschrieben, das man es kaum aushält. Wäre mir das im Vorfeld bekannt gewesen, dann hätte ich das Buch ziemlich sicher nicht gekauft. Und mir wäre eine intensive Leseerfahrung entgangen. „Jeder Mensch ist eine Insel“ weiterlesen

Showdown mit Bergblick

Jochen Rausch: Krieg

»Arnold schiebt die Tür hinter den Männern zu und begreift in dem Augenblick, dass aus seinem Leben, das manchmal glücklich und meistens normal war, soeben ein unbeschreibliches, sinnloses Nichts geworden ist.« Ein harter Satz, der unter die Haut geht. Er stammt aus dem Buch »Krieg« von Jochen Rausch, das mir letzte Woche zufällig in die Hände gefallen ist. „Showdown mit Bergblick“ weiterlesen

Kafkaesk in Prag

Kafkaesk in Prag

Anfang 1996 arbeitete ich als Buchhändler und verkaufte Reiseführer. Beim Auspacken einer Kiste mit Novitäten fiel mir ein schmales Buch in die Hände, das eines meiner intensivsten Leseerlebnisse überhaupt auslöste. Der Titel lautete »Cafés in Prag« und machmal gibt es Momente, in denen man ganz plötzlich eine Eingebung hat oder eine plötzliche Idee, oder ein Plan glasklar vor dem inneren Auge erscheint. Das war ein solcher Moment. Einen Monat später kaufte ich eine Zugfahrkarte nach Prag und machte mich auf den Weg. „Kafkaesk in Prag“ weiterlesen

Wo liegt Faserland?

Christian Kracht: Faserland

Wenn ich schaue, über welche Bücher ich bis jetzt geschrieben habe, dann scheinen die Neunziger Jahre bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen zu haben. Da kann ich hier gleich noch einen Titel nachlegen: »Faserland« von Christian Kracht ist 1995 erschienen. Das Buch war das erste des Autors und der Protoyp eines neuen Erzählstils, der Schule machen sollte. „Wo liegt Faserland?“ weiterlesen