Was weiß ich eigentlich über Jamaika? Oder vielmehr, was wusste ich über diese Insel, bevor ich den Roman »Eine kurze Geschichte von sieben Morden« von Marlon James gelesen habe? Nicht allzu viel, außer dass dort Bob Marley und Peter Tosh den Reggae erfunden hatten. In Verbindung mit dieser Musik stellte ich mir das Leben dort irgendwie entspannt vor. Weit gefehlt. Sehr weit.
Nichts wusste ich von der erschreckenden Gewalttätigkeit. Nichts von den Elendsvierteln in Kingston wie etwa Eight Lanes, Copenhagen City, Rema oder den riesigen Müllbergen in Garbage Lands. Nichts von den Gangs, die diese Viertel beherrschten. Nichts von dem alltäglichen Rassismus, einem Erbe der düsteren Kolonialzeit. Nichts von der brutalen Kriminalität, dem Drogenhandel, der korrupten Polizei, von der Verstrickung der Politik in zahlreiche Morde. Und nichts davon, dass in den siebziger Jahren die PNP – eine der beiden großen politischen Parteien – eine Art sozialistisches Experiment gestartet hatte. Was auf der einen Seite sofort die CIA mit ihren Destabilisierungsexperten auf den Plan rief, da man kein zweites Kuba vor der Haustüre haben wollte. Und zum anderen Fidel Castro seine Unterstützer schickte. Die rivalisierenden Gangs wurden bewaffnet, Überfälle und Drive-by-Shootings waren an der Tagesordnung, das Land versank in Chaos und Gewalt, Menschenleben zählten nichts, alles war nur einen Schritt von einem Bürgerkrieg entfernt.
Legendär dann das erste Friedenskonzert am 5. Dezember 1976 in Kingston, das Smile Jamaica Peace Concert, in dem Bob Marley zur Versöhnung zwischen den Gangs und zwischen den Parteien aufrief. Ein angeschossener Bob Marley, denn zwei Tage zuvor kam er bei einem Anschlag nur knapp mit dem Leben davon; ein Schuss hatte seine Brust durchlöchert, als sieben Männer mit Pistolen und automatischen Waffen sein Anwesen in der 56 Hope Road stürmten.
Mitten hinein in die aufgeheizte und angespannte Atmosphäre dieser Zeit führt uns Marlon James‘ Roman. „56 Hope Road, Kingston“ weiterlesen