Die Welt der Buchblogs

Die Welt der Buchblogs

Bei der permanenten Suche nach neuen Lektüren gibt es für mich zwei wichtige Inspirationsquellen: Zum einen der Bummel durch die Buchhandlungen meines Vertrauens. Und zum anderen das Flanieren durch die bunte, vielfältige Welt der Literaturblogs. Diese Vielfalt finde ich immer wieder faszinierend und seit 2016 stelle ich in einer monatlichen Kolumne meine Fundstücke vor, die ich beim Blog-Flanieren entdecke; seien es Buchbesprechungen, Texte über die Buchbranche oder Beiträge zu gesellschaftlichen Entwicklungen.

Bis Ende Dezember 2024 erschien diese Online-Kolumne als »Kaffeehaussitzers Netzrückblick« in der Zeitschrift BuchMarkt, seit Januar 2025 wird sie unter dem neuen Titel »Der Buchblog-Flaneur« bei Börsenblatt.net veröffentlicht, der Online-Ausgabe des Börsenblatts des Deutschen Buchhandels, dem offiziellen Magazin der Buchbranche. Dieser Wechsel war Anfang des Jahres der Anlass, für die Print-Ausgabe des Börsenblatts einen Text über die Welt der Buchblogs zu schreiben – wie es anfing und was sich alles daraus entwickelte. In einer leicht erweiterten Version erscheint der Text nun auch hier im Blog.


Im Juni 2013 ging mein Literaturblog Kaffeehaussitzer online. Die ersten Schritte in die Blogwelt verliefen ungeplant, tatsächlich bin ich eher hineingestolpert. Aber schnell fand ich Gleichgesinnte; die Buchblogszene war im Jahr 2013 überschaubar. Es fühlte sich sofort gut an, Teil dieser Community zu sein, und etliche der Literaturblogs, auf die ich traf, sind nach wie vor aktiv – wie etwa die Klappentexterin Simone Finkenwirth, Zeichen & Zeiten von Constanze Matthes oder Buch-Haltung von Marius Müller.  

Ab 2014/2015 begann die Blütezeit der Buchblogs. Die Anzahl wuchs rapide, innerhalb weniger Jahre entstand eine vielschichtige Bloglandschaft. Dabei ist es schwierig, von einer »Buchblogszene« zu sprechen, denn die gab es nie. Es existieren viele einzelne Szenen mit thematisch völlig verschiedenen Schwerpunkten. Auch sprachlich und gestalterisch findet man eine riesige Spannbreite. Doch alle Buchbloggenden eint der Wunsch, über das Gelesene zu sprechen, sich mit anderen Lesenden auszutauschen – und alle stecken ihre Begeisterung und viele Stunden Arbeit in ihre Blogs. Das Internet ist groß genug für die unterschiedlichsten Themen und es liegt an mir als Leser, die für mich passenden Kanäle zusammenzustellen.

Im Blog Lesestunden gibt es die Topliste, ein nahezu vollständiges Verzeichnis der deutschsprachigen Literaturblogs. Zu den Hochzeiten waren dort ca. 1.200 Blogs aufgelistet, doch vor allem das Inkrafttreten der Datenschutz-Grundverordnung im Mai 2018 und die damit verbundenen technischen und inhaltlichen Auflagen sorgten für einen regelrechten Aderlass. Viele stellten ihre Blogs ein, die Zahl reduzierte sich drastisch. Heute sind dort 663 Buchblogs aufgeführt.

Formate und Experimente 

In den Verlagen war man auf die Buchblogs aufmerksam geworden. Blogger-Relations-Stellen wurden geschaffen, wobei unklar war, wo in der Verlagsstruktur man sie einordnen sollte – und bis heute sind sie mal in der Presseabteilung, mal im Marketing angesiedelt. Es gab Einladungen zu Verlagsevents oder zu Buchmessepartys, Blogger waren bei Pressereisen dabei, auf der Leipziger Buchmesse entstand die Blogger-Lounge und für die LitBlog-Convention taten sich unterschiedliche Verlage zusammen, um ein Bloggerevent auszurichten. Schon diese wenigen Beispiele zeigen, wie schnell die Buchblogs im Literaturbetrieb angekommen waren. Und es wurde ausprobiert und experimentiert, neue Formate entstanden. 2015 gab es die Bloggerpaten beim Preis der Leipziger Buchmesse, seit dem gleichen Jahr begleiten Buchblogs den Deutschen Buchpreis, seit 2016 wurden vom Gemeinschaftsblog Das Debüt das beste deutschsprachige Romandebüt ausgezeichnet, beim Blogbuster-Preis konnten unveröffentlichte Manuskripte eingereicht werden – der Sieger erhielt einen Verlagsvertrag. Drei Mal wurde der Preis vergeben, die Kooperationsverlage waren Tropen, Kein & Aber und Eichborn. 2017 wurde zum ersten Mal der Buchblog-Award auf der Frankfurter Buchmesse vergeben, 2018 hatte ich die Ehre, als erster Literaturblogger Teil der Jury des Deutschen Buchpreises zu sein.  

Mehr oder weniger parallel zu den klassischen Blogs entstanden zahlreiche Buchkanäle auf YouTube. Zumindest zum Teil ist dieses Format inzwischen von den Instagram-Reels oder den Bewegtinhalten auf TikTok abgelöst worden, aber großartige Kanäle wie BuchGeschichten sind stets einen Besuch wert.

Das alles ging nicht reibungslos vonstatten, manche entsinnen sich vielleicht noch der Debatte Blogs vs. Literaturkritik. Es war eine unnötige Diskussion, die auf einem Missverständnis beruhte. Denn Buchblogs sind kein Feuilleton und ersetzen dieses auch nicht. Ein Blogbeitrag ist – meistens – mit seiner Subjektivität das Gegenteil eines Feuilleton-Artikels. Es geht darum, Leseeindrücke zu beschreiben, sich mit anderen Lesern auszutauschen. Und gerade durch diesen persönlichen Ansatz auf Augenhöhe können Blogs für Bücher begeistern. Ich selbst sehe mich mit meinem Blog Kaffeehaussitzer in erster Linie als einen dieser »Buchbegeisterer« und auf keinen Fall als Literaturkritiker. Wenn ich von einem Werk überzeugt bin, möchte ich mich am liebsten mit einem Megaphon auf eine Straßenkreuzung stellen und meine Begeisterung herausrufen – damit so viele Menschen wie möglich dieses Buch lesen. Das ist wahrscheinlich das Buchhändler-Gen in mir.

Literaturblogs sind eine nie versiegende Quelle der Inspiration und ein riesiger Fundus für den Blick über den eigenen Tellerrand. Ein paar Beispiele? Die Beitragsreihe »Women in Science Fiction« im Blog Binge Reading & More, die regelmäßigen Auswertungen der kommenden Verlagsprogramme im Blog LiteraturReich oder die charmante Serie »Essen aus Büchern« im Blog schiefgelesen (die inzwischen abgeschlossen ist und mit schiefgegessen eine eigene Seite erhalten hat). Aus manchen Blogs wurden Online-Magazine, wie etwa 54Books, das als Blog gestartet war und heute mit einem Redaktionsteam »Feuilleton im Internet« anbietet. Oder TraLaLit, das einzige deutschsprachige Online-Magazin, dass sich ausschließlich mit dem Thema Literaturübersetzung beschäftigt. 

Bookstagram kommt

Etwa ab 2018 beginnt sich die Definition »Buchblog« zu ändern: Bookstagram ist im Kommen. Auf Instagram entstehen neue Netzwerke, unzählige Buchkanäle schießen aus dem Boden, die Diskussionen über Bücher, Gelesenes, die Buchbranche verlagert sich. Die Handhabung ist unkompliziert, der Zugang einfach, die Postings persönlich und plakativ. Auch für die »klassischen« Blogs wird Instagram zu einem weiteren Kanal, um auf die eigenen Inhalte aufmerksam zu machen. Denn betrachtet man seinen eigenen Blog als eine Art Heimatplanet, dann sind die sozialen Medien die Satelliten, die für Traffic sorgen. Manchmal hat einer ausgedient, wie etwa Twitter, das inzwischen einer toxischen No-Go-Area gleicht – dafür nutzt man neue oder andere verstärkt.

Die meisten der Bookstagramer bloggen ausschließlich auf Instagram und bei vielen finde ich das schade – weil es dort eine Menge wunderbarer Texte und Buchbesprechungen gibt, die es wert wären, ebenfalls auf einem eigenen Blog veröffentlicht zu werden. Denn auch wenn Instagram heute der wichtigste Kommunikationskanal für Buchbegeisterte ist, dicht gefolgt bzw. schon fast überholt von TikTok – niemand weiß, wie sich diese Plattformen weiter entwickeln werden. Und welche Überraschungen uns dort noch erwarten, siehe Twitter.

Das Medium der Stunde

Eigentlich sind klassische Blogs das Medium der Stunde, denn sie gehören uns Bloggern und können nicht von Milliardären nach deren Gusto umgebaut und unbewohnbar gemacht werden. Und die Welt dieser Buchblogs ist quicklebendig; das merke ich Monat für Monat, wenn ich die Fundstücke für die Buchblog-Flaneur-Kolumne zusammenstelle. 

Dieser Text kann nur an der Oberfläche des Themas kratzen, denn die Buchblog-Welt ist so groß und vielseitig, dass es noch viel mehr darüber zu schreiben gäbe. Und egal, ob klassische Blogs, Bookstagram oder BookTok: Jeder einzelne Kanal ist ein Schaufenster für Bücher und für das geschriebene Wort. Und in Zeichen schwindender Präsenz in den Medien ist dies wichtiger denn je. 


Dieser Text erschien ursprünglich in einer etwas kürzeren Version unter dem Titel »Blog-Welten« im Börsenblatt des Deutschen Buchhandels, Heft 2/2025 vom 23. Januar 2025. In der Kolumne »Der Buchblog-Flaneur« stelle ich auf Boersenblatt.net am Ende jedes Monats zehn Fundstücke aus den Literaturblogs vor – als Einladung zu einer Entdeckungsreise. 

Zum Weiterlesen:

«Wenn Buchbloggen zur Farce wird«
Starker Text im Blog Bücherfuchs

»Echte Worte statt Algorithmus – die stille Stärke der Buchblogs«
Sehr lesenswerter Text im Blog The Art of Reading

Als Einstieg in die Welt der Buchblogs
Buchblogs. Eine Linkliste.

13 Antworten auf „Die Welt der Buchblogs“

  1. Hallo Uwe,

    ein sehr schöner Beitrag über die Entstehung und die Entwicklung der Buchblog-Szene. Ich habe mich ertappt, dass ich beim Lesen ausschließlich genickt habe. Mir gefällt dein Vergleich mit dem Wohnzimmer sehr gut. Denn genau so habe ich mir meinen Blog eingerichtet, als mein Lese-Wohnzimmer, in dem ich mich mit jeden interessierten Gast freudig über Bücher austauschen kann.

    Weiterhin viel Freude am Lesen und Bloggen.

    Liebe Grüße
    Nicole

  2. Huhu Uwe,

    ich kann deinen Text so nur unterschreiben.
    Ich fühle mich auf meinem Blog auch einfach freier und unabhängiger. Ich bin weder auf Algorithmen noch KI-generierte Zeigefinger angewiesen oder muss dieses in irgendeiner Weise bedienen, um sichtbar zu sein.
    Als Bloggerin bin ich zwar auf den diversen Social-Media-Channels vertreten, doch mein Hauptaugenmerk liegt einfach auf meinem Blog und den vielen interessanten Buchblogs, die mich jeden Tag immer wieder aufs Neue mit spannenden Beiträgen unterhalten.

    Vielen Dank für die Verlinkung. Bei mir bist du nun auch zum Weiterlesen verlinkt.

    Cheerio
    RoXXie

    1. Ganz genau. Mein Blog ist mein Wohnzimmer im Internet oder vielmehr mein virtuelles Kaffeehaus – und ich bin nicht abhängig von festgelegten Zeichenzahlen oder Algorithmen. Und besonders den einen Punkt, den Du in Deinem Text erwähnst, finde ich wichtig: Blogbeiträge sind über Jahre aktiv. Manche Blogbeiträge hier gehören seit über einem Jahrzehnt zu den permanent meistgelesenen. Und ich liebe es, mich in anderen Blogs durch deren Archiv zu lesen – es sind wahre Fundgruben.

      Liebe Grüße
      Uwe

  3. Schönen guten Morgen!

    Ein spannender Beitrag und ich hab das Gefühl dass das Thema die letzten Jahre immer wieder auftaucht – und die Blogs sind immer noch da xD

    Ich hab ja auch 2013 angefangen und die ganzen Veränderungen miterlebt und ja, ich bin auf Facebook und insta, aber nur zum Teilen meiner Beiträge. Der Blog ist einfach kommunikativer und haltbarer ;)

    Deinen Beitrag hab ich heute gerne in meiner Stöberrunde verlinkt.

    Liebste Grüße, Aleshanee

  4. Lieber Uwe!

    Was für ein schöner, augenöffnender Beitrag. Da bin ich über die Jahre wohl wirklich betriebsblind geworden…

    Ich hatte in den vergangenen Jahren immer stärker den leicht resignierenden Eindruck, dass die einst so kunterbunte, lebendige Blogwelt nicht nur massiv geschrumpft, sondern auch zu einer Einöde geworden ist, die von Instagram, TikTok und Co ins Land der Belanglosigkeit gedrängt wurde. Aber wenn ich mir deine Fundstücke so ansehe, muss ich bekennen: Hach, ich lag schlichtweg falsch. Da gibt es noch immer so viel zu entdecken und das Potential von Blogs wird in Zukunft wohl wieder größer und nicht kleiner. Denn (und den Satz werde ich mir künftig ganz dick hinter die Ohren schreiben): „Eigentlich sind klassische Blogs das Medium der Stunde, denn sie gehören uns Bloggern und können nicht von Milliardären nach deren Gusto umgebaut und unbewohnbar gemacht werden.“

    Danke für den wunderbaren Artikel!
    Ich wünsch dir einen feinen Tag und schicke herzliche Grüße
    Nana

  5. Danke, dass du den Literaturblogs immer wieder Raum und Sichtbarkeit gibst. Ich freue mich jedes Mal über deine Entdeckungen – sie bereichern meinen eigenen Leseblick ungemein und ich danke für die Erwähnung, habe mich sehr gefreut :)

  6. Es gibt ganz wunderbare Kanäle auf Instagram rund um Bücher mit tollen und lesebegeisterten Menschen im Hintergrund. Und auch teilweise so kreativ. Ich finde es auch schade, dass die keine Blogs haben. Gerade die Unabhängigkeit schätze ich da sehr. Man kann dort freier und ebenso kreativ agieren. Das Argument „Twitter“ habe ich aber auch schon mal auf einer Messe bringen müssen, als mir entgegnet wurde, Blogs wären doch tot. Weiß ich jetzt nicht, ich schreibe gerne und immer noch.

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