Fleisch essen

Wolfgang Schorlau: Am zwölften Tag

Das Buch »Am zwölften Tag« von Wolfgang Schorlau hat tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. Er ist ein Autor, der genau hinschaut und seine Krimis rund um den privaten Ermittler und Ex-BKA-Beamten Georg Dengler legen den Finger auf wunde Stellen in Politik und Gesellschaft. Im Verlauf der sechs bisherigen Fälle hatte Dengler mit den kriminellen Praktiken der Pharmaindustrie zu tun. Oder es ging um Privatisierung der Wasserversorgung auf Kosten des Allgemeinwohls. Oder den Bombenanschlag auf das Oktoberfest 1980 und die bis heute ungeklärten offensichtlichen Vertuschungen bei den Ermittlungen. Alle Romane sind sehr, sehr gründlich recherchiert und der Leser weiß nie ganz genau, wo die Wirklichkeit endet und die Fiktion beginnt. Oder umgekehrt. Und jetzt, in »Am zwölften Tag«, seinem siebten Fall, legt sich Dengler sich mit der Fleischindustrie und ihren mafiösen Machenschaften an.

Genauer gesagt ist es sein Sohn Jakob, der Ärger bekommt. Er und seine Freunde sind engagierte Tierschützer und wollen die üblen Zustände der Massentierhaltung dokumentieren. Was sie nicht wissen: Ihre Aktionen sind Carsten Osterhannes, einem der Fleischbarone im Oldenburger Land, ein Dorn im Auge. Was sie ebenfalls nicht wissen: Osterhannes ist bereit, über Leichen zu gehen. Dengler und die Eltern der Freunde seines Sohnes wähnen ihre vier Kinder auf Urlaubsreise in Barcelona. Als der Kontakt zu ihnen aber immer nur über SMS möglich ist, wird Dengler misstrauisch und beginnt das zu tun, was er am besten kann. Ermitteln. Und es wird höchste Zeit.

Zwischen den Kapiteln erhalten wir in einem Monolog von Carsten Osterhannes einen tiefen Einblick, wie Massentierhaltung in Deutschland funktioniert. Wie qualvoll Tiere ihr kurzes Leben verbringen müssen, wie effektiv die Abläufe funktionieren, wie überzüchtete Puten in ihrem eigenen Kot liegen, weil sie nicht mehr stehen können, wie die Tiere mit Antibiotika behandelt werden, weil sie ansonsten unter diesen Bedingungen krank  würden. Wie das Fleisch, das am Ende verpackt im Supermarkt liegt, das in einem Döner oder als Currywurst 0der als Schnitzelbrötchen serviert wird, mit richtigem Fleisch nichts mehr zu tun hat. Es ist kein Nahrungsmittel, sondern ein industrielles Erzeugnis, für das unzählige Tiere leiden und sterben müssen.

Und wir lernen viel über das System der billigen Arbeitskräfte in der fleischverarbeitenden Industrie. Rumänen und Bulgaren, die als »Werkvertragsarbeiter« für ein paar Euro am Tag schuften bis zum Umfallen, die von Schlepperbanden, die sich bisher auf Prostitution spezialisiert hatten, nach Deutschland gebracht werden, als neuer Geschäftszweig sozusagen. Die bedroht und misshandelt werden, wenn sie aufbegehren. Die Fleischindustrie hat damit mitten in Deutschland einen an moderne Sklaverei erinnernden Niedriglohnsektor geschaffen, alles ermöglicht durch Politiker und Lobbyisten. Durch entsprechende Subventionspolitik wird die Massentierhaltung weiter gefördert, kleinen und mittleren Höfen, die ihre Tiere artgerecht halten, wird systematisch das Wasser abgegraben.

Das alles erfährt der Leser neben der eigentlichen Handlung. Daher ist das Buch eigentlich gar kein Krimi, sondern eine Kampfschrift wider die Fleischindustrie und ihre halbkriminellen Auswüchse. Das hat Auswirkungen auf die erzählte Geschichte, die manchmal etwas holzschnittartig zwischen den Guten und den Bösen unterscheidet, zum Teil sehr brutal daherkommt und recht reißerisch endet. Aber wenn man wie der Autor sich eine Weile mit diesem Thema beschäftigt hat, kann man wahrscheinlich gar nicht anders. Im Nachwort erklärt er: »Die Fleischindustrie hat sich  ihren miserablen Ruf hart erarbeitet. Die Wirklichkeit ist jedoch vielfach noch schrecklicher als die übelsten Phantasien. Nach der Recherche zu diesem Buch kann ich begründet sagen: Eigentümer und Manager der Fleischindustrie sind in jeder Hinsicht – unterste Schublade. Ausnahmen habe ich nicht gefunden.« Und, wie gesagt, Wolfgang Schorlau recherchiert sehr gründlich. Eine Zusammenstellung seiner Quellen findet man auf seiner Homepage.

Abschließend sollte ich noch erwähnen, dass ich ein leidenschaftlicher Fleischesser bin. Aber gerade, weil Essen für mich etwas mit Genuss zu tun hat, war es mir schon immer wichtig, genau zu schauen, wo ich Fleisch kaufe. Ein leidenschaftlicher Fleischesser werde ich auch immer bleiben, dazu liebe ich den Geschmack von einem perfekt gegrillten Steak zu sehr. Natürlich ist mir bewusst, dass dabei für meine Ernährung Tiere sterben müssen, es sind schließlich Nutztiere. Aber genau deswegen muss man sie mit Respekt und Würde behandeln, doch das System der Massentierhaltung pervertiert dies auf die widerlichste Art und Weise.  Und solange wir, die Verbraucher, nicht bereit sind, für gutes Essen auch entsprechende Preise zu bezahlen,  solange viele von uns nicht verstehen, dass man nicht jeden Tag Fleisch essen muss und solange die Lobby der Fleischindustrie Politik macht und nicht Politiker – solange wird sich daran nichts ändern.

Nach diesem Buch mache ich einen noch größeren Bogen um Supermarkt-Fleischtheken und Tiefkühlregale und ich bekomme seit dieser Lektüre kein Fleisch mehr hinunter, dass man so oft gedankenlos in sich hineinstopft: Ein Burger hier, eine Bratwurst da, mal ein Salat mit Putenbruststreifen, morgens beim Bäcker ein Rühreibrötchen mit Bacon und, und, und. Dieses Buch, eigentlich »nur« ein Krimi, hilft beim Umdenken. Sehr. Oder, um den Text eines Aufklebers zu zitieren, den Jakob Dengler und seine Freunde in Umlauf gebracht haben: »Dieses Fleisch stammt aus Massentierhaltung. Sie vergiften damit sich und ihre Familie.«

Buchinformation
Wolfgang Schorlau, Am zwölften Tag
KiWi Taschenbuch
ISBN 978-3-462-04547-5

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2 Antworten auf „Fleisch essen“

  1. Ein wieder eimmal durch und durch gelungener Beitrag der mich echt neugierig auf das Buch gemacht hat.
    Da ich selber (noch) Fleischesser bin, aber ich die Machenschaften der Fleischindustrie auch immer mehr hinterfrage und nicht gut heiße wird mir vielleicht dieses Buch noch einen weiteren Grund geben zukünftig ganz auf Fleisch zu verzichten.
    Es freut mich, wenn Autoren mit ihren Büchern nicht nur unterhalten sondern auch informieren. Werde es auf jeden Fall lesen!

  2. Ich bekenne mich auch zum maßvollen Fleischkonsum und versuche schon lange, bewußt einzukaufen. Satt wird man auch von anderen Produkten…
    Oft ist es Bequemlichkeit, aber sicher auch ein Kostenproblem, das Menschen zu Billigprodukten greifen läßt. Solche Bücher oder vergleichbare Fernsehsendungen können da aufrütteln und zum Nachdenken anregen.

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