Viva la librería

Viva la librería: Über die Freiheit des Wortes

Zu Beginn der Neunzigerjahre war es in meinem Bekanntenkreis en vogue, sich für Südamerika zu begeistern. Es wurde Spanisch gelernt, man nahm alle möglichen Nebenjobs an, um das Geld für Flüge zusammen zu bekommen, Freunde reisten monatelang durch den Kontinent, in südamerikanischen Metropolen wurden Praktika oder Auslandssemester absolviert, es wurde abendelang geredet und über südamerikanische Länder im Umbruch diskutiert. Länder, die es geschafft hatten, die Fesseln von Militärdiktaturen abzustreifen, Bürgerkriege zu überwinden und sich auf dem Weg in eine gerechtere Zukunft befanden. Zumindest hofften wir das damals.

Aus dieser Zeit – es muss etwa 1993 gewesen sein – habe ich von einer Freundin eine Postkarte erhalten. Woher genau die Karte war, weiß ich leider nicht mehr, denn obwohl ich die letzten Wochen überall wegen des Photos für diesen Beitrag nach dieser Postkarte gesucht habe, konnte ich sie nicht mehr finden. Schade. Aber eigentlich auch egal, denn es waren lediglich drei Sätze, die darauf standen, und die Abbildung des Schaufensters einer Buchhandlung. Die Sätze habe ich nie vergessen:

Yo soy libre.
Tú eres libre.
¡Viva la librería!

Dieses Wortspiel hat mich begeistert, zeigt es doch, dass die Wörter Freiheit und Buchhandlung unmittelbar zusammengehören. Deshalb habe ich es in die Rubrik Textbausteine* aufgenommen. Denn es geht in diesen drei kurzen Zeilen um nichts weniger als die Freiheit des Wortes und damit der Meinung und des Geistes. Und darum, was für eine wichtige Rolle die Buchhandlungen, die Verlage und die Presse dabei spielen. Eine Rolle, die für uns selbstverständlich erscheinen mag, die es aber keinesfalls ist. Meinungsfreiheit ist nach wie vor in zahlreichen Ländern nicht existent, egal ob es sich dabei um ideologische oder religiös-politische Unterdrückungsmechanismen handelt.

Besonders dramatisch ist es, wenn das Rad zurückgedreht wird; zu sehen momentan in der Türkei, wo der gescheiterte Militärputsch dazu genutzt wird, die Freiheit des Wortes massiv zu beschneiden: Laut dem PEN-Zentrum Deutschland sind mittlerweile »132 Medienunternehmen geschlossen, darunter 3 Nachrichtenagenturen, 23 Radiosender, 16 Fernsehsender, 45 Zeitungen, 15 Magazine und 29 Verlage, deren Vermögen, inklusive Copyrights und Urheberrechten, dem Staat zugefallen sind. Mindestens 62 Journalisten und Schriftsteller sind in türkischen Gefängnissen eingesperrt, weil sie öffentlich ihre Meinung geäußert haben. Andere Journalisten, deren Medien nun geschlossen wurden, befinden sich auf der Flucht.« Es ist, als könne man live dabei zusehen, wie sich ein Staat Schritt für Schritt immer weiter von einer freiheitlichen Gesellschaft entfernt. Während die europäischen Regierungen danebenstehen, ohne etwas zu unternehmen.

Die Meinungsfreiheit wird aber nicht nur von staatlicher Seite bedroht, die Gefährdung durch die Giganten der Digitalwirtschaft erfolgt auf subtilere Art und Weise; erst wenn ein Schlag wie etwa die Löschung eines Künstlerblogs durch Google erfolgt, schreckt man kurz aus dem Datenschlummer auf und bemerkt, welche Meinungsmonopole da herangewachsen sind.

Yo soy libre.
Tú eres libre.
¡Viva la librería!

Die Freiheit der Person ist mit der Freiheit des Wortes auf das Engste verknüpft. Das sagen uns diese drei kurzen Sätze. Wir sollten das niemals vergessen.

Und unsere Bücher möglichst oft in einer unabhängigen librería unseres Vertrauens kaufen.

* In vielen Büchern habe ich Stellen angestrichen, die mir im Gedächtnis haften geblieben sind und die ich immer wieder lese. Solche Stellen begleiten mich seit Jahren, es sind die Textbausteine meiner Bücherwelt. In diesem Fall ist es eine nicht mehr existierende Postkarte.

4 Antworten auf „Viva la librería“

  1. Hallo Uwe,
    ich schreibe dir noch einmal zu diesem Beitrag, da man ja zu einer Kategorie nicht antworten kann, um dich auf eine wunderbare Literaturgeschichte „Südamerika“ aufmerksam zu machen, die ich gerade lese: „Gelbe Schmetterlinge und die Herren Diktatoren. – Lateinamerika erzählt seine Geschichte“ von Michi Strausfeld. In diesem umfangreichen Band schreibt sie die politisch-literarische Geschichte des Kontinents, so wie sie die Autoren sehen, von Kolumbus bis zu den Erzählern des 21. Jahrhunderts. Die Einleitung dieses Bandes ist überschrieben mit „Romane, die Geschichte schreiben“, und genau das ist es.
    Dieser Kommentar passt m. E. am ehesten zu diesem Beitrag, sollte aber eigentlich ein Kommentar zur Kategorie „Südamerika“ sein.
    Liebe Grüße
    Petra

  2. Hallo Uwe! Deinen Blog habe ich, wie ich zugeben muss, erst sehr spät entdeckt. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich meine Nase mehr in Bücher stecke als ins Internet. Erst über die Longlist zum Deutschen Buchpreis, die ich in meiner Buchhandlung mitgenommen habe, bin ich auf deinen Blog aufmerksam geworden und ich bin ziemlich begeistert. Auf deiner Bücherliste befinden sich viele Bücher, die auch zu meinen Lieblingsbüchern gehören. Als ich sodann in der Kategorie „Südamerika“ auf dieses interessante Wortspiel stieß, kam es mir sofort bekannt vor. In meinen letzten Weihnachtsferien habe ich eine Reise nach Argentinien unternommen und war u.a. eine Woche in Buenos Aires. Buenos Aires ist ein echtes Paradies für Bücherfreunde. Es gibt dort, bei einer Einwohnerzahl von 14-15 Mio. Menschen ca. 25 Buchhandlungen pro 100.000 Einwohner und somit weltweit die größte Dichte an Buchhandlungen an einem Ort. U.a. gibt es dort die Buchhandlung „El Ateneo Grand Splendid“, die die englische Tageszeitung „The Guardian“ zur zweitschönsten Buchhandlung der Welt gewählt hat. Und genau dort fand ich auf einer ausgelesenen Zeitschrift im Café der Buchhandlung dieses handschriftlich hingekritzelte spanische Wortspiel, das meine Aufmerksamkeit erregt hatte. Ich habe den Spruch notiert und er befindet sich jetzt in meinem Lesetagebuch als besonderer Eintrag. In Argentinien, und überall dort, wo die Freiheit der Menschen und die Freiheit des Wortes keineswegs immer selbstverständlich waren/sind, hat dieser Spruch offenbar nichts von seiner Aktualität verloren.
    Leider kann ich nichts darüber sagen, ob es dieses Wortspiel irgendwo auf einer Postkarte gibt. Aber es ist doch ein gutes Gefühl zu wissen, dass es in den Köpfen der Menschen noch präsent ist.

    1. Hallo Petra,

      das ist ja eine großartige Reisegeschichte – und schön, dass sie Dich vom El Ateneo Grand Splendid (einer meiner Sehnsuchtsorte, an dem ich leider noch nie war) zum Kaffeehaussitzer geführt hat. Herzlich willkommen und viele Grüße.

      Uwe

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