Mit dem Tod am Tresen

Thees Uhlmann: Sophia, der Tod und ich

Frankfurter Buchmesse 2015: Ich war gerade bei Kiepenheuer & Witsch in ein Gespräch vertieft, als ein Typ durch den Messestand gerauscht kam. Er war Anfang vierzig und schaffte es, gleichzeitig aufgedreht, müde, gut gelaunt und cool zu wirken. In alle Richtungen grüßend sagte er mehrmals »Guten Morgen, Verlag«, »Guten Morgen, Verlag« und verschwand durch eine Tür ins Messe-Kabuff, um nach einer Tasse Kaffee Ausschau zu halten. Alle lächelten. Das war Thees Uhlmann, Sänger der Hamburger Band »Tomte«. Auf der Buchmesse war er nicht als Musiker, sondern als Autor zu Gast, denn gerade war sein erster Roman »Sophia, der Tod und ich« erschienen.

Als ich von dem Buch erfuhr, war ich erst ein wenig skeptisch. Ein Sänger einer Band schreibt einen Roman, dessen meistens schlecht gelaunter Protagonist so irgendwie durchs Leben kommt und dessen Welt sich plötzlich radikal verändert. Das klang mir etwas zu sehr nach Sven Regeners »Herr Lehmann«, einem meiner absoluten Lieblingsbücher. Doch weit gefehlt. Es ist anders. Und auf eine ganz andere Art und Weise großartig.

Alles beginnt mit dem Öffnen einer Türe. Während sich der namenlos bleibende Ich-Erzähler noch fragt, wer um alles in der Welt bei ihm geklingelt haben könnte, stellt sich der Mann vor seiner Wohnung als der Tod vor, der ihn jetzt leider abholen müsse. Drei Minuten noch. Natürlich hält der Erzähler seinen Besucher für einen Irren, wundert sich ein wenig, mit welcher Selbstverständlichkeit dieser seine Wohnung betritt. Doch nach einem kurzen, absurden Gespräch beginnt sich seine Wahrnehmung zu verändern und er merkt, dass sein Besucher gar kein Irrer ist. Da klingelt es wieder. Diesmal ist es Sophia, die Ex-Freundin unseres Protagonisten, die mit ihm verabredet war, um ihn zu einem Besuch bei seiner Mutter zu begleiten. Das Sterben bricht plötzlich ab, der Tod, den Sophia zuerst für einen Kumpel ihres Ex-Freundes hält, ist ziemlich irritiert.

Was nun folgt ist eine vollkommen aberwitzige Story, voller Wortwitz, Ernsthaftigkeit, Situationskomik, wahnsinnigen Dialogen und voller Melancholie. Jedes Wort zum Inhalt wäre ab jetzt eines zuviel, denn die drei machen sich gemeinsam auf die Reise zur Mutter des Protagonisten. Für den Tod ist es so eine Art Urlaub vom Alltag. Er genießt es mit seinen beiden neuen, naja, Freunden an der Theke einer Kneipe zu sitzen, Zug zu fahren, mit dem Auto unterwegs zu sein. Denn aus dem kurzen Ausflug wird eine längere Reise, unser Erzähler hat noch eine Mission zu erfüllen. Eine wichtige.

Thees Uhlmann hat wunderbare Charaktere geschaffen. Ein Protagonist, der vor allem seine Ruhe haben möchte, durchs Leben geht, ohne irgendwo anzuecken, dem alles scheißegal ist, der Menschen lieber beobachtet, als mit ihnen gemeinsam zu leben, der zufrieden ist mit seiner eigenen Unzufriedenheit. Als Altenpfleger hat er ständig mit dem Tod zu tun und macht sich trotzdem keine Gedanken über das Leben.

Sophia, eine starke Frau, keinem Konflikt aus dem Weg gehend, ist das genaue Gegenteil von ihm. Gegensätze ziehen sich zwar angeblich an, aber für eine dauerhafte Beziehung hat es dann doch nicht gereicht. Und während des irren Roadtrips merkt der Erzähler so langsam, was er doch für ein Idiot gewesen war, als er sie hat gehen lassen.

Und dann eben noch der Tod. Für ein paar Tage hineingeworfen in die Welt der Lebenden genießt er seinen Ausflug voll und ganz, kindliches Staunen trifft auf den Versuch möglichst cool zu wirken; eine sehr amüsante Mischung. Er wird auf eine Weise Lebensretter werden, wie er es sich gewiß nicht hätte vorstellen können. Irgendwie entsteht eine Art, na ja, Freundschaft zwischen den dreien.

Ist das nun ein Roman nur für Freunde schrägen Humors und abstruser Geschichten? Ja und nein. Natürlich spricht die Handlung vor allem genau diese Leser an. Doch zwischen all dem Wortwitz geht es um viel, viel mehr, nämlich um nichts Geringeres als den Sinn des Lebens. Das klingt dann so:

»Er: Warum lieben die Menschen eine Blumenwiese?
Ich: Weil sie so schön bunt ist.
Er: Nein, weil sie nur vier Wochen lang so schön bunt ist. Und dann wird sie gelb, und dann ist sie tot. Ohne mich wäre es einfach nur für immer eine grüne Fläche mit bunten Punkten. Ich mache den ganzen Kram hier zu dem, was er ist. Ich bin der Grund, warum ihr morgens aufsteht. Ich bin die Angst, die euch lieben lässt. Ich bin das Ticken in eurem Kopf. Alles, was ihr am Leben liebt, bekommt durch mich erst seine Form. Die Angst, etwas zu verpassen. Was willst Du verpassen, wenn du es immer nachholen kannst?«

Möglicherweise spricht mich das Buch auch deshalb so an, weil ich einige Elemente aus meiner eigenen Biographie darin erkenne. Etwa, weil ich selbst einmal drei Jahre lang als Altenpfleger gearbeitet habe. Nach dem Zivildienst, als ich absolut nicht wusste, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. »Ein Altenheim ist bei weitem kein homogener Ort, an dem nur alte Menschen leben. Es ist die Resterampe des Lebens. Die Mannigfaltigkeit einer Gesellschaft, abgebildet in ihrer Krankheits- und Behindertensituation. Wer früher Selbständiger, Versicherungsfachangestellter, Arschprolet oder Industriekapitän war, ist jetzt der mit Demenz, der ohne Beine, der Neben-sich-Stehende, der Fluchende oder der In-sich-Zurückgezogene, der seinen Kontakt mit der Außenwelt nur über das Früher herstellt.« Diese paar Sätze sind so perfekt zutreffend; sie haben gereicht, um mich wieder daran zu erinnern, wie sich diese Zeit angefühlt hat.

Damals war ich vom Tod umgeben und lernte ihn auch mehrmals selbst kennen. War dabei, als Menschen gegangen sind, Menschen, die plötzlich fort waren und im Augenblick des Gehens immer noch auf irgendeine Weise anwesend. Es waren bewegende, aber auch verstörende Momente. Leider ist es in den letzten Jahren nicht bei den Erlebnissen der damaligen Zeit geblieben, denn nicht nur in einem Altenheim ist der Tod unser ständiger Begleiter. Doch diesen Tod jetzt auf eine solche Weise wiederzutreffen, in einer Kneipe an der Theke, das hat irgendwie etwas Tröstliches.

»Der Tod und ich saßen schweigend am Tresen. Ich schweigend, weil mir nichts einfiel, worüber ich mit dem Tod reden sollte, und er, weil er sichtlich begeistert davon war, in einer Kneipe sitzen zu können, und von der Wirkung, die das Bier auf ihn ausübte. Ab und zu sagte er: ›Uuuh, das ist bitter‹, und: ›Wie das prickelt‹, oder: ›Man kann die Gewalt wirklich schmecken. Wie viele Leute ich schon wegen Bier abgeholt habe auf der Welt‹ und irgendwann fing er einfach an, halb melodiös zu singen.«

»Sophia, der Tod und ich« ist ein wunderbares Buch über die Vergänglichkeit.
Über das Glück des Alltags.
Und über das Leben.

Weil jeder Tag zählt.

Buchinformation
Thees Uhlmann, Sophia, der Tod und ich
Verlag Kiepenheuer & Witsch
ISBN 978-3-462-04793-6

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10 Antworten auf „Mit dem Tod am Tresen“

  1. Ich bin auch sehr begeistert von diesem Buch, eine wunderbare Mischung aus schrägem Humor und nachdenkenswertem Ernst. Ich hatte es zunächst als Hörbuch bei Spotify gehört, so zum Bügeln und putzen… also habe nichts ernstes erwartet. Und war dann derart begeistert, dass ich es „nachgekauft“ habe, ich wollte auch so gerne das Buch , nicht nur so eine Datei, haben. Aber ich empfehle UNBEDINGT einmal in das Hörbuch zu hören, denn wie Thees Uhlmann liest ist unschlagbar, so hanseatisch, so nordisch schleppend. Wenn ich nun eine Zeile aus dem Buch lese, wie zB in der Rezension, habe ich SOFORT den Uhlmannschen Tonfall im Ohr!

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