Vor dem Untergang

Eric Sonneman: Der letzte Sommer / The Last Summer

Bevor der Mannheimer Photolaborant Erich Sonnemann seinen Namen in Eric Sonneman ändern würde, besuchte er ein letztes Mal seine Verwandtschaft in Freudental – einem Dorf  in der schwäbischen Provinz, irgendwo zwischen Ludwigsburg und Heilbronn. Mit dabei hatte er seine Kamera, mit der er die Familie seines Onkels und dessen Freunde photographierte. Und die Arbeit auf den Feldern, denn es war Erntezeit, damals im Sommer 1938. Ob Erich Sonnemann wusste, dass es danach kein Wiedersehen geben würde? Er emigrierte kurz darauf in die USA und aus seinen Bildern jenes Sommers sind heute Dokumente der Zeitgeschichte geworden. Denn fast alle der darauf abgebildeten Menschen waren einige Jahre später tot, ermordet von ihren Landsleuten und Mitbürgern. Weil sie Juden waren. In dem schmalen Band »Der letzte Sommer« aus der Reihe »Freudentaler Blätter« können wir einige der Photos anschauen. Und erhalten einen Eindruck von trügerischer Normalität, die keine drei Monate später zerbröseln sollte wie ein morsches Stück Holz. Die Photographien sind das Denkmal einer verschwundenen Welt, untergegangen in Barbarei, Leid und Tod. „Vor dem Untergang“ weiterlesen

Und alles ändert sich

Roscoe T. Martin ist Elektriker. Das wäre an sich nicht besonders spektakulär. Im Alabama des Jahres 1923 allerdings schon, denn abseits der großen Städte ist die Elektrifizierung noch lange nicht angekommen und das Leben auf den Farmen hat sich seit dem 19. Jahrhundert nicht groß verändert. Und auf einer solchen Farm ist Roscoe T. Martin gestrandet – bis eine einzige falsche Idee sein Leben in den Grundfesten erschüttert. Virginia Reeves erzählt in ihrem Roman »Ein anderes Leben als dieses« seine Geschichte. Eine Geschichte über den Wunsch nach Fortschritt und Glück, über das Scheitern, den Verlust und – vielleicht – der Möglichkeit eines Neuanfangs. „Und alles ändert sich“ weiterlesen

Gegen das Vergessen: Bücher für junge Leser

Gegen das Vergessen: Buecher fuer junge Leser

Für das Leseprojekt Das Unerzählbare wurde hier auf Kaffeehaussitzer eine Bücherliste zusammengestellt, die sich mit dem Thema Holocaust beschäftigt. Auslöser dafür ist eine Entwicklung, die man zunehmend mit Sorge betrachten muss: Jener monströse Zivilisationsbruch gerät langsam aber sicher aus dem Bewusstsein vieler Menschen, ewiggestrige Geschichtsrevisionisten wittern Morgenluft, Antisemiten unterschiedlichster Couleur versprühen immer aggressiver ihr Gift. Und in der Literatur droht die Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit zum bloßen atmosphärischen Hintergrundrauschen einer Romanhandlung zu verkommen.

Jetzt hat dieses Leseprojekt eine hochwillkommene Ergänzung erhalten, nämlich eine Titelliste speziell für junge Menschen. Sie stammt von der Journalistin, Autorin und Übersetzerin Ute Wegmann, die sich seit vielen Jahren mit dieser Thematik auseinandersetzt und sich durch Initiierung von Projekten wie »HEIMSPIEL – Kölner Autoren lesen in Kölner Schulen« in der Leseförderung engagiert. 2018 erschien ihre Übersetzung von Judith Kerrs Autobiographie »Geschöpfe« – einer Autorin, mit deren Persönlichkeit und Werk sie sich schon lange intensiv beschäftigt. „Gegen das Vergessen: Bücher für junge Leser“ weiterlesen

Das Unerzählbare. Ein Leseprojekt

Das Unerzaehlbare: Ein Leseprojekt gegen das Vergessen

Das Unerzählbare. Mit diesem Begriff umschreibt der Autor Daniel Kehlmann die Beschäftigung mit dem Thema Holocaust und dem mit deutscher Gründlichkeit organisierten Massenmord an sechs Millionen Menschen. Denn wie soll man, wie kann man über diesen monströsen Tiefpunkt der Zivilisation und der deutschen Geschichte reden, schreiben, sprechen? Und gleichzeitig muss man darüber reden und darüber schreiben und darüber sprechen, damit dieses Unerzählbare niemals in Vergessenheit gerät. Deshalb habe ich für ein Leseprojekt Bücher zusammengestellt, die sich mit diesem Thema beschäftigen. „Das Unerzählbare. Ein Leseprojekt“ weiterlesen

Schuld und Reue

Owen Sheers: I Saw a Man

Als ich das Buch »I Saw a Man« von Owen Sheers fertig gelesen hatte, musste ich erst einmal durchatmen. Dann aber gleich meine Begeisterung auf Twitter zum Ausdruck bringen, indem ich es dort als »absolute Leseempfehlung« anpries. Daraufhin entspann sich eine Twitter-Diskussion, denn Bloggerkollegin Mareike Fallwickl war ganz und gar nicht dieser Meinung, sie fand den Roman »vorhersehbar, langweilig, mit blassen Figuren.« Zwei Leser, zwei Meinungen, und das, wo ich ihre Buchempfehlungen in ihrem Blog Bücherwurmloch sehr schätze. Doch diesmal war es, als hätten wir komplett unterschiedliche Bücher gelesen – Begeisterung hier, vernichtende Kritik dort. Es ging auf Twitter hin und her, andere Leser klinkten sich ein, tendierten mal zur einen, mal zur anderen Seite, fanden das Ende nicht gelungen, aber schließlich waren 140 Zeichen doch zuwenig Platz, um dieses Buch angemessen vorzustellen. Deshalb erzähle ich jetzt hier, warum ich »I Saw a Man« für sehr lesenswert halte. Natürlich ohne zuviel davon zu verraten.

Owen Sheers knüpft in »I Saw a Man« ein Netz aus Tragik, Schuld und Reue, in dem sich seine Protagonisten verfangen; alles ist miteinander verwoben und verbunden, auch wenn sie sich zum Teil nicht kennen. Es ist die alte Frage nach der Ursache, dem Auslöser einer Tragödie, die dann immer weitere Kreise zieht. Ist es Schicksal oder Zufall? Eine Antwort gibt auch das Buch nicht, liefert aber ein eindrucksvolles Beispiel für eine genau solch dramatische Verkettung. „Schuld und Reue“ weiterlesen