Die Reise ins Nirgendwo

Alma Katsu: The Hunger - Die letzte Reise

Der lange Weg nach Westen gehört zu den Gründungsmythen der USA. Die Bilder dazu in unseren Köpfen verdanken wir Hollywoods Traumfabriken: Planwagenkolonnen, die durch eine endlose Prärie ziehen, hoffnungsvolle Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben. Die harte Wirklichkeit sah anders aus, denn abgesehen davon, dass die Besiedlung des Westens einherging mit der gewaltsamen Vertreibung der indigenen Bevölkerung, waren es keine heldenhaften Pioniere, die Wagen an Wagen in Richtung Abendröte zogen. Sondern Familien, die nichts zu verlieren hatten, die aufgebrochen waren, um der Armut und Perspektivlosigkeit zu entkommen; Gücksritter waren dabei, die alles auf eine Karte setzten, Entwurzelte, aber auch Menschen, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten waren und eine zweite Chance suchten. Und längst nicht alle überstanden die monatelange Reise durch eine raue Natur, die lebensbedrohlich werden konnte. Die Opfer forderte und manchmal für furchtbare Tragödien verantwortlich war. Von einer dieser Tragödien erzählt die Autorin Alma Katsu in ihrem Roman »The Hunger« – mit dem vielsagenden Untertitel »Die letzte Reise«. „Die Reise ins Nirgendwo“ weiterlesen

Der Wächter und seine Dämonen

Gerhard Jaeger: All die Nacht ueber uns

Einen Zaun. Einen Wachturm. Einen Mann. Und seine Dämonen. Mehr benötigt Gerhard Jäger nicht, um uns in seinem Roman »All die Nacht über uns« auf eine Reise tief in die Seele eines Menschen zu schicken, dorthin, wo es dunkel ist. So dunkel, wie die Nacht, die diesen Mann umgibt, als er auf dem Wachturm steht, um einen Zaun zu bewachen. Eine einzige, endlose Nacht lang begleiten wir Leser ihn dabei.

Europa in einer nahen Zukunft: Die Flüchtlingskrise hat einen neuen Höhepunkt erreicht, als tausende von Menschen versuchen, dem tödlichen Chaos im zerfallenden Nahen Osten zu entkommen. Die Staaten Mitteleuropas riegeln ihre Grenzen ab, bauen Zäune. In einem nicht näher genannten Land sind die widerwärtigen Phantasien rechtsnationaler Politiker Wirklichkeit geworden: Es wird geschossen, wenn Flüchtlinge versuchen, den Grenzzaun zu überwinden; egal, ob es sich um Männer, Frauen oder Kinder handelt. Dies ist die Aufgabe des einsamen Soldaten auf dem Wachturm. Auf den Zaun zu achten, in die Nacht hinaus zu starren und im Zweifelsfall das Feuer zu eröffnen. „Der Wächter und seine Dämonen“ weiterlesen

Monolog im Trinkerhirn

Ottessa Moshfegh: McGlue

Krass. Um dieses Wort inflationär zu benutzen bin ich etwas zu alt. Aber als Einstieg in diesen Beitrag passt es perfekt, denn besser kann man den Roman »McGlue« von Ottessa Moshfegh eigentlich kaum beschreiben. Kostprobe? »Das Schiff legt ab. Ich klammere mich an der Reling fest und kotze, spucke Gift und Galle, während ich dem vorbeirauschenden Wasser zuschaue, bis kein Land mehr in Sicht ist. Eine kurze Zeit ist alles friedlich. Dann will etwas in mir sterben. Ich drehe den Kopf und huste. Zwei Zähne fallen mir aus dem Mund und rollen wie Würfel übers Deck.«

Direkt auf der ersten Seite ist diese Textstelle zu finden, als der Ich-Erzähler McGlue aus einem Vollrausch aufwacht und sich danach in der Zelle des Schiffes wiederfindet, auf dem er als Seemann angeheuert hat. Angeklagt des Mordes an seinem Freund Johnson. Was folgt, ist ein 141 Seiten langer Monolog, das Selbstgespräch eines Mannes, den der Alkohol zerstört hat und in dessen Verlauf nach und nach zu Tage kommt, was eigentlich passiert ist. Oder auch nicht. „Monolog im Trinkerhirn“ weiterlesen

Mit Alma im Kaffeehaus

Daniel Woodrell: In Almas Augen

»Das Haar war weiß, mit Grau verschmiert, die Farbe einer Zeitung, die im Regen liegt, bis die Schlagzeilen über das Papier geflossen sind.« So beschreibt Daniel Woodrell gleich auf der ersten Seite seines Romans »In Almas Augen« die Hauptperson der Geschichte, Alma deGeer Dunahew. Es ist nur ein einziger Satz, der eine ältere Dame vor unserem Auge entstehen lässt, ein wenig eigen, nicht besonders adrett. Ich habe sie ins Kaffeehaus ausgeführt. „Mit Alma im Kaffeehaus“ weiterlesen

Showdown mit Bergblick

Jochen Rausch: Krieg

»Arnold schiebt die Tür hinter den Männern zu und begreift in dem Augenblick, dass aus seinem Leben, das manchmal glücklich und meistens normal war, soeben ein unbeschreibliches, sinnloses Nichts geworden ist.« Ein harter Satz, der unter die Haut geht. Er stammt aus dem Buch »Krieg« von Jochen Rausch, das mir letzte Woche zufällig in die Hände gefallen ist. „Showdown mit Bergblick“ weiterlesen