Im letzten Drittel des Buches finden wir sie, die Schlüsselstelle in Volker Kutschers Kriminalroman »Märzgefallene« steht auf der Seite 487: »Es kam ihr vor, als sei Berlin voll von Leuten, die nur auf diese neue Regierung gewartet hatten und plötzlich aus ihren Löchern hervorkrochen und ihr wahres Gesicht zeigten. Als sei da die ganze Zeit, irgendwo tief unter der Stadt, ein dunkles Berlin gewesen, das nun durch alle Ritzen nach oben kroch, wie Abwasser, das ein zu hoher Grundwasserspiegel durch die Kanaldeckel auf die Straße drückt. Aber so war es natürlich nicht, es waren dieselben Menschen, die durch dieselben Berliner Straßen liefen. Die neue Regierung hatte ganz einfach nur ein besonderes Talent darin, bei jedem Menschen das Schlechteste nach außen zu kehren.« »Märzgefallene« ist der fünfte Band aus der Reihe rund um den Kriminalkommissar Gereon Rath der Berliner Kriminalpolizei. Er spielt im Frühjahr 1933. „Dunkelheit, die aus Ritzen kriecht“ weiterlesen
Erst schießen, dann fragen
Den Wilden Westen betrachtet man gemeinhin als eine Epoche des 19. Jahrhunderts. Nach der Lektüre von Bruce Holberts »Einsame Tiere« weiß ich, dass dies nicht stimmt. Der Roman spielt zu Beginn der 1930er-Jahre im Okanogan County, einer abgelegenen Gegend nahe Kanada im US-Bundesstaat Washington. Auf den ersten Blick meint man, dass auch hier moderne Zeiten angebrochen sind, es gibt schließlich Elektrizität, Autos, Mähdrescher und Telefone. Aber es ist ein Grenzland. Und zwar gleich auf dreifache Weise. Die Grenze zwischen den USA und Kanada verläuft hier. Indianerreservation und Farmland der Weißen stoßen aneinander. Und die Vergangenheit des Wilden Westens grenzt an das 20. Jahrhundert. „Erst schießen, dann fragen“ weiterlesen
Die Brücke der Lügen
Als der namenlos bleibende Agent endlich die Akte erhält, nach der er gesucht hat, wird sein Leben eine zweite entscheidende Wendung nehmen. Es ist im Dezember 2013 und die andere, die erste entscheidende Wendung liegt viele Jahre zurück. Er war damals, im Juli 1980, im Auftrag der CIA in Damaskus stationiert, hatte sich in eine schwedische Diplomatin verliebt und hielt ihr beider Kind in den Armen, als sie in seinem explodierenden Auto starb. Das Kind überlebte, aber er fühlte sich außerstande, für es zu sorgen, so dass seine Tochter Klara ohne irgendetwas über ihren Vater zu wissen bei ihren Großeltern auf einer schwedischen Schäreninsel aufwuchs.
Den CIA-Agenten hatten die Geschehnisse aus der Bahn geworfen, der weitere Verlauf seines Lebens bildet die Rahmenhandlung des Romans »Der Schwimmer« von Joakim Zander. „Die Brücke der Lügen“ weiterlesen
Eine Legende der Leidenschaft
Der Roman »Mord in Metropolis« von Robert Baur nimmt uns mit. Und zwar mitten hinein in die Entstehung eines Meisterwerks, eines Meilensteins der Filmgeschichte, einer Legende. Doch schon die Dreharbeiten an sich waren legendär, denn Metropolis war eines der wahnwitzigsten Filmprojekte aller Zeiten und der Regisseur Fritz Lang ein von äußerster Leidenschaft getriebener Perfektionist. In den beiden Jahren 1925 und 1926 wurden etwa 600 Kilometer Film belichtet, sekundenlange Szenen dutzendfach wiederholt, bis sie den Vorstellungen Langs entsprachen, tausende von Statisten beschäftigt, die in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit leicht zu engagieren waren, neueste Technik für aufwändige Trickaufnahmen eingesetzt oder erst dafür entwickelt. Mit enormen Aufwand wurden Kulissen gebaut, hauptsächlich in Potsdam, in den Studios Babelsberg, wo eigens für Metropolis das damals größte und modernste Filmatelier Europas entstand. Die Kosten explodierten, der Film wurde teurer und teurer, das Budget um ein vielfaches überschritten. „Eine Legende der Leidenschaft“ weiterlesen
Auf Mördersuche im Bombenhagel
Ein Kommissar im Ruhestand wird mitten in Nacht zu einem Tatort gerufen, an dem die ermittelnden Behörden nicht weiterwissen. Irgendwie ein klassischer Beginn eines soliden Kriminalromans. Aber nicht so in diesem Buch, in »Germania« von Harald Gilbers. Denn der Kommissar ist nicht freiwillig außer Dienst. Er heißt Richard Oppenheimer und wurde wegen seiner jüdischen Herkunft suspendiert. Der Ermittler, der ihn abholen lässt, heißt Vogler und ist Hauptsturmführer der SS. Wir befinden uns in Berlin, im Frühling des Jahres 1944. „Auf Mördersuche im Bombenhagel“ weiterlesen
Fleisch essen
Das Buch »Am zwölften Tag« von Wolfgang Schorlau hat tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. Er ist ein Autor, der genau hinschaut und seine Krimis rund um den privaten Ermittler und Ex-BKA-Beamten Georg Dengler legen den Finger auf wunde Stellen in Politik und Gesellschaft. Im Verlauf der sechs bisherigen Fälle hatte Dengler mit den kriminellen Praktiken der Pharmaindustrie zu tun. Oder es ging um Privatisierung der Wasserversorgung auf Kosten des Allgemeinwohls. Oder den Bombenanschlag auf das Oktoberfest 1980 und die bis heute ungeklärten offensichtlichen Vertuschungen bei den Ermittlungen. Alle Romane sind sehr, sehr gründlich recherchiert und der Leser weiß nie ganz genau, wo die Wirklichkeit endet und die Fiktion beginnt. Oder umgekehrt. Und jetzt, in »Am zwölften Tag«, seinem siebten Fall, legt sich Dengler sich mit der Fleischindustrie und ihren mafiösen Machenschaften an. „Fleisch essen“ weiterlesen
Mittelalter ohne Folklore
»Isenhart« von Holger Karsten Schmidt ist ein historischer Roman, der deutlich aus dem Einheitsbrei dieses Genres herausragt. Beurteilt man ihn nur nach dem Klappentext, wird dies nicht sofort deutlich. Dort ist von einem Serienmörder die Rede, von einem mittelalterlichen Profiler; insgesamt entsteht dadurch ein falscher Eindruck von diesem großartigen Buch. Denn es handelt sich hier nicht um einen Mittelalter-Krimi. »Isenhart« ist viel mehr als das. „Mittelalter ohne Folklore“ weiterlesen
Im Reich der Finsternis
Das Buch »Vaterland« von Robert Harris ist mir während meiner Buchhändlerlehre in den Neunzigern in die Hände gefallen und es hat mich bis heute nicht losgelassen. Es fängt an wie ein Krimi-Klischee: An einem trostlosen, verregneten Morgen wird die Leiche eines älteren Mannes in der Berliner Havel gefunden. Der Kripo-Ermittler Xaver März – was für ein Name! – untersucht den Tatort. März scheint wie aus einem Noir-Krimi entsprungen, desillusioniert, geschieden, zynisch, die Whiskyflasche im Schreibtisch, eine gescheiterte Existenz. „Im Reich der Finsternis“ weiterlesen
Berliner Luft
Ich lese gerne Krimis. Das ist ein Genre, in dem sich die Spreu vom Weizen trennt. Der Markt ist voll mit platten Thrillern, aufgepeppt mit Blut, Brutalität und unglaubwürdiger Action. Aber in dem ganzen Altpapier-Dschungel gibt es auch immer wieder fantastische Entdeckungen, manchmal sogar ganze Goldminen an spannender Literatur. Wie etwa die Krimiserie rund um den Ermittler Gereon Rath von Volker Kutscher. „Berliner Luft“ weiterlesen