Ein Diktator im Fadenkreuz

Geoffrey Household: Einzelgaenger, maennlich

Als der Diktator im Fadenkreuz auftauchte und der Zeigefinger des Schützen am Abzug lag, kam ein leichter Wind auf. Der Luftzug zwang ihn, das Präzisionsgewehr nachzujustieren und in diesen wenigen Sekunden wurde er von den Sicherheitskräften überwältigt. Damit beginnt der Roman »Einzelgänger, männlich« von Geoffrey Household. Jener Schütze ist der Ich-Erzähler, der berichtet, wie er anschließend in das große Anwesen gebracht und gefoltert wurde. Ohne Fingernägel und mit einem zugeschwollenen, stark verletzten Auge wird er eine Felswand hinabgeworfen, um seinen Tod wie einen Unfall aussehen zu lassen. Denn anhand seiner Papiere identifizierten seine Peiniger ihn als einen prominenten Angehörigen der englischen Oberschicht, den sie nicht einfach verschwinden lassen konnten. Wie durch ein Wunder überlebt er den Sturz und es beginnt eine dramatische Jagd. 

Es ist immer wieder spannend, beim Stöbern im heimischen Bücherregal verborgene Leseschätze zu entdecken; viele Bücher lagern dort schon seit Jahren. »Einzelgänger, männlich« hatte ich mir irgendwann quasi im Vorbeigehen gekauft, weil mir Titel und Cover gefielen – und weil der Verlag Kein & Aber es schafft, bibliophile Taschenbücher herzustellen. Ich mag diese Gestaltung mit dem schlichten Cover und dem bei Paperbacks außergewöhnlichen Farbschnitt sehr. Und auch wenn ich normalerweise versuche, den Kauf von Taschenbüchern zu vermeiden, mache ich bei dieser Reihe gerne eine Ausnahme. Auch dieses Mal wurde ich nicht enttäuscht. „Ein Diktator im Fadenkreuz“ weiterlesen

Abgebrochene Brücken

Kai Havaii: Rubicon

Eigentlich hätte ich den Namen Kai Havaii kennen müssen, denn ich bin in den Achtzigerjahren aufgewachsen und er war – oder vielmehr ist – der Sänger der Band »Extrabreit«. Aber die Musik der Neuen Deutschen Welle mochte ich noch nie und auch dreißig Jahre später wechsele ich auf Partys schnell den Raum, wenn die NDW-Nostalgierunde läuft. Wobei ich in Zeiten, wie wir sie momentan erleben,  gerne dazu auf dem Tisch tanzen würde, wenn Partys überhaupt wieder möglich wären.

Wie dem auch sei, jedenfalls hatte ich den Namen Kai Havaii noch nie gehört, als ich bei der Frankfurter Buchmesse 2019 am Blauen Sofa vorbeikam, dem Veranstaltungsformat des ZDF. Genau in diesem Moment war eine Krimirunde zu Gast, es saßen dort Simone Buchholz, Judith Ahrendt, Sebastian Fitzek und eben Kai Havaii. Ein lässiger Typ, der gerade von seinem Kriminalroman »Rubicon« erzählte, der kurz zuvor erschienen war. Und das auf eine Weise, die mich so neugierig machte, dass ich zwei Stunden später mit diesem Buch im Zug saß, auf dem Weg zurück nach Köln. Und mit zunehmender Begeisterung in die Geschichte von Carl Overbeck eintauchte. „Abgebrochene Brücken“ weiterlesen

56 Hope Road, Kingston

Marlon James: Eine kurze Geschichte von sieben Morden

Was weiß ich eigentlich über Jamaika? Oder vielmehr, was wusste ich über diese Insel, bevor ich den Roman »Eine kurze Geschichte von sieben Morden« von Marlon James gelesen habe? Nicht allzu viel, außer dass dort Bob Marley und Peter Tosh den Reggae erfunden hatten. In Verbindung mit dieser Musik stellte ich mir das Leben dort irgendwie entspannt vor. Weit gefehlt. Sehr weit.

Nichts wusste ich von der erschreckenden Gewalttätigkeit. Nichts von den Elendsvierteln in Kingston wie etwa Eight Lanes, Copenhagen City, Rema oder den riesigen Müllbergen in Garbage Lands. Nichts von den Gangs, die diese Viertel beherrschten. Nichts von dem alltäglichen Rassismus, einem Erbe der düsteren Kolonialzeit. Nichts von der brutalen Kriminalität, dem Drogenhandel, der korrupten Polizei, von der Verstrickung der Politik in zahlreiche Morde. Und nichts davon, dass in den siebziger Jahren die PNP – eine der beiden großen politischen Parteien –  eine Art sozialistisches Experiment gestartet hatte. Was auf der einen Seite sofort die CIA mit ihren Destabilisierungsexperten auf den Plan rief, da man kein zweites Kuba vor der Haustüre haben wollte. Und zum anderen Fidel Castro seine Unterstützer schickte. Die rivalisierenden Gangs wurden bewaffnet, Überfälle und Drive-by-Shootings waren an der Tagesordnung, das Land versank in Chaos und Gewalt, Menschenleben zählten nichts, alles war nur einen Schritt von einem Bürgerkrieg entfernt.

Legendär dann das erste Friedenskonzert am 5. Dezember 1976 in Kingston, das Smile Jamaica Peace Concert, in dem Bob Marley zur Versöhnung zwischen den Gangs und zwischen den Parteien aufrief. Ein angeschossener Bob Marley, denn zwei Tage zuvor kam er bei einem Anschlag nur knapp mit dem Leben davon; ein Schuss hatte seine Brust durchlöchert, als sieben Männer mit Pistolen und automatischen Waffen sein Anwesen in der 56 Hope Road stürmten.

Mitten hinein in die aufgeheizte und angespannte Atmosphäre dieser Zeit führt uns Marlon James‘ Roman. „56 Hope Road, Kingston“ weiterlesen

Der Funke in der Munitionsfabrik

Henrik Rehr: Der Attentaeter

Terroristische Anschläge und deren Gründe beherrschen die aktuelle Nachrichtenlage. Aber sie sind kein neues Thema, denn Attentate aus politischen, ideologischen oder fanatisch-religiösen Anlässen gibt es schon immer. Vor etwas mehr als einem Jahrhundert setzten die Schüsse des serbischen Terroristen Gavrilo Princip die halbe Welt in Brand, als er in Sarajevo den östereichisch-ungarischen Thronfolger und dessen Frau erschoß. Serbe, Nationalist, Terrorist – wer war dieser Princip? Wie wurde er zu einem Attentäter, der bereit war, sein eigenes Leben für diesen Anschlag wegzuwerfen? Was waren seine Beweggründe? Darüber gibt ein ganz besonderes Buch Auskunft, die Graphic Novel »Der Attentäter« von Henrik Rehr. Der Untertitel macht das Anliegen des Autors und Zeichners deutlich, »Die Welt des Gavrilo Princip« zu beschreiben. „Der Funke in der Munitionsfabrik“ weiterlesen

Feiernd in den Untergang

Joseph Roth: Radetzkymarsch

Genau heute vor 100 Jahren, am 28. Juni 1914, wurde in Sarajevo der Lauf der Weltgeschichte verändert. Der Attentäter Gavrilo Princip, Mitglied der serbischen Terrororganisation Schwarze Hand, feuerte zwei Schüsse auf den Thronfolger der österreichisch-ungarischen Monarchie und seine Gemahlin ab und tötete beide. Dieser Mordanschlag löste einen verheerenden Kreislauf aus, der das alte Europa in einen furchtbaren Krieg und in den Untergang führen sollte. „Feiernd in den Untergang“ weiterlesen