Der Weg in die Dunkelheit

Volker Kutscher: Olympia

Im Jahr 2007 startete Volker Kutscher seine Buchreihe um den Kommissar Gereon Rath, den es 1929 von Köln nach Berlin verschlägt und der dort den Weg in die Dunkelheit des »Dritten Reiches« miterleben wird. Ich weiß noch, wie ich den ersten Band – »Der nasse Fisch« – zum ersten Mal sah und durch das Buchcover sofort meine Neugier geweckt wurde: Eine Straßenszene aus den Zwanzigerjahren, eine Limousine, die am Bürgersteig parkt und von Kindern bewundert wird, daneben eine Litfaßsäule, die wie eine Reminiszenz an »Emil und die Detektive« wirkt. Seitdem begleite ich Gereon Rath und Charlotte Ritter auf ihrem Weg durch die immer finsterer werdende Geschichte und auch dreizehn Jahre später ist meine Begeisterung für diese Reihe ungebrochen; der im November 2020 erschienene achte Band »Olympia« spielt im Jahr 1936. Und Gereon Rath ist inzwischen ein desillusionierter Polizist, der sich Gedanken macht über den Sinn von Mordermittlungen in einem Land, das von Mördern regiert wird. „Der Weg in die Dunkelheit“ weiterlesen

Ein Gangster-Triple

Gangster-Triple: »Die himmlische Tafel« von Pollock, »Red Grass River« von Blake und »Der Boxer« von Twardoch.

Dies sind drei Bücher, die für einen Blogbeitrag perfekt zusammen passen. Drei Gangster-Geschichten, dreimal ein Setting in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, dreimal eine grandiose Noir-Atmosphäre: »Die himmlische Tafel« von Donald Ray Pollock, »Red Grass River« von James Carlos Blake und »Der Boxer« von Szczepan Twardoch. Und noch etwas haben die Romane gemeinsam: Ständig sind die Protagonisten mit ihren Autos unterwegs, rasen über einsame Landstraßen, brettern über Knüppeldämme oder fahren langsam und einschüchternd durch ihr Stadtviertel. Wie immer bei Büchern, die in dieser Zeit spielen, springt automatisch das Kopfkino an und man hat die robusten Lieferwagen oder eleganten Limousinen jener Zeit vor Augen. Filme wie »Road to Perdition«, »Public Enemies« oder »Lawless« lassen grüßen.

Vor diesem Hintergrund war das Photoshooting für das Beitragsphoto etwas ganz Besonders. Ich durfte die Bücher auf einem Ford Model A aus dem Jahr 1929 drapieren – zuvor habe ich aber mit dem Besitzer dieses original erhaltenen Schmuckstücks eine kleine Runde durch Köln gedreht. Und das war wie eine Zeitreise. Der Aufbau des Autos ist komplett aus Holz, durch den laufenden Motor wird es in der Fahrerkabine recht warm, doch dafür sind die Seitenfenster unverglast; bei Regen wurden einfach Planen in die seitlichen Fensteröffnungen gehängt. Am Lenkrad sitzt ein Hebel, mit dem ständig die Zündung reguliert werden muss, sonst knallt der Motor. Und vor dem Anlassen muss die Benzinpumpe aufgedreht werden. Laut Auskunft des Ford-Museums in Detroit existieren von diesem Auto in einem solch perfekten Zustand noch etwa dreißig Exemplare weltweit. Wie gesagt, es war ein ganz besonderes Photoshooting. Am Ende des Textes gibt es mehr Bilder. „Ein Gangster-Triple“ weiterlesen

Ermittler mit Scheuklappen

Volker Kutscher: Lunapark - Gereon Raths sechster Fall

Es gibt wenig Bücher, in denen Zeitgeschichte so lebendig wird, wie in der Buchreihe um den Ermittler Gereon Rath. Ich mag diese Reihe sehr und habe mich bereits mehrmals auf Kaffeehaussitzer damit beschäftigt. Sie ist ein spannendes und faszinierendes Projekt, denn der Autor Volker Kutscher schafft es darin, die verhängnisvollsten Jahre in der deutschen Geschichte am Beispiel seiner Protagonisten zu erzählen. Gemeinsam mit Gereon Rath erleben wir das Ende der Weimarer Republik und den Weg in die Dunkelheit der Nazi-Diktatur. Und das alles verpackt als spannende Kriminalfälle mit akribisch recherchiertem historischen Hintergrund. Der Roman »Lunapark« spielt im Jahr 1934 und ist der sechste Band der Reihe; die Nationalsozialisten sind dabei ihre Macht weiter zu festigen, die SA terrorisiert die Bevölkerung, das Bürgertum – ursprünglich froh, der kommunistischen Gefahr Herr geworden zu sein – beginnt zu realisieren, auf was für eine Art Staat Deutschland unaufhaltsam zusteuert. „Ermittler mit Scheuklappen“ weiterlesen

Berliner Ermittlungen

Berlin-Noir-Krimis: Fünf Ermittler

Nur wenige Orte gibt es auf der Welt, an denen die Verwerfungen und Umbrüche der Geschichte so deutlich sehen waren und zu sehen sind wie in Berlin. Die Stadt stand das gesamte 20. Jahrhundert über im historischen Fokus, Brennpunkt und Symbol gleichermaßen. Die dramatischste Zeit dürfte ohne Zweifel die Epoche zwischen 1918 und 1945 gewesen sein; hier nahmen in Berlin Ereignisse ihren Anfang, die mit ihren Folgen unsere ganze Welt verändern sollten.

1918 strömte das geschlagene kaiserliche Heer nach vier Jahren Krieg zurück, es folgten eine Revolution und deren Niederschlagung mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen in den Berliner Straßen. Dann die Inflation mit ihren verheerenden Folgen, eine erste vorsichtige Konsolidierung der jungen deutschen Republik, das langsame Erstarken der radikalen Parteien von rechts und links. Schließlich versetzte die Weltwirtschaftskrise dem Experiment der ersten deutschen Demokratie den Todesstoß, Straßenschlachten zwischen Nazis und Kommunisten waren an der Tagesordnung, Reichstagsauflösungen, Neuwahlen, immer schneller wechselten die Regierungen bis zu jenem unseligen Moment, als Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde. Die Folgen sind bekannt.

Gleichzeitig war Berlin in den zwanziger Jahren eine der modernsten Städte der Welt, ein Zentrum der Kunst und Kultur, Treffpunkt der Avantgarde. Licht und Schatten nah beieinander – eine perfekte Atmosphäre für das Genre Kriminalliteratur und deshalb ist es kein Wunder, dass sich inzwischen einige Ermittler im Berlin der Zwanziger- und Dreißigerjahre tummeln. Mir gefällt das sehr gut, ich mag es, wenn historische Zusammenhänge gekonnt in Romanhandlungen eingebaut werden; besonders wenn es sich um so dramatische Zeiten handelt wie jene. Ein paar dieser Ermittler, deren Werdegang ich höchst gespannt verfolge, möchte ich hier vorstellen. „Berliner Ermittlungen“ weiterlesen

Dunkelheit, die aus Ritzen kriecht

Volker Kutscher: Maerzgefallene

Im letzten Drittel des Buches finden wir sie, die Schlüsselstelle in Volker Kutschers Kriminalroman »Märzgefallene« steht auf der Seite 487: »Es kam ihr vor, als sei Berlin voll von Leuten, die nur auf diese neue Regierung gewartet hatten und plötzlich aus ihren Löchern hervorkrochen und ihr wahres Gesicht zeigten. Als sei da die ganze Zeit, irgendwo tief unter der Stadt, ein dunkles Berlin gewesen, das nun durch alle Ritzen nach oben kroch, wie Abwasser, das ein zu hoher Grundwasserspiegel durch die Kanaldeckel auf die Straße drückt. Aber so war es natürlich nicht, es waren dieselben Menschen, die durch dieselben Berliner Straßen liefen. Die neue Regierung hatte ganz einfach nur ein besonderes Talent darin, bei jedem Menschen das Schlechteste nach außen zu kehren.« »Märzgefallene« ist der fünfte Band aus der Reihe rund um den Kriminalkommissar Gereon Rath der Berliner Kriminalpolizei. Er spielt im Frühjahr 1933. „Dunkelheit, die aus Ritzen kriecht“ weiterlesen

Gangster mit Stil

Dennis Lehane: In der Nacht

»Das Buch mit dem Hut.« So las ich auf Twitter über den Roman »In der Nacht« von Dennis Lehane. Es war in der Tat der Hut auf dem Buchcover, der mich das Buch kaufen ließ. Er rief sofort Bilder wach, die zu meiner visuellen Grundausstattung gehören. Durch Filme wie »Es war einmal in Amerika«, »Untouchables«, »Road to Perdition«, »Last Man standing« oder »Lawless« hat sich ein bestimmter Stil im Hinterkopf etabliert, der sofort Assoziationen weckt an die Zeit der Prohibition in Amerika, an den Alkoholschmuggel. An Gangster mit Maschinenpistolen, aber immer in stilvoller Kleidung. „Gangster mit Stil“ weiterlesen

Verwirrspiel in Rio de Janeiro

Ronaldo Wrobel: Hannahs Briefe

Wieder einmal war der Zufall im Spiel. Im März 2013 schlenderte ich über die Leipziger Buchmesse und kam am Brasilien-Stand vorbei. Im Vorfeld des Ehrengastauftritts zur diesjährigen Frankfurter Buchmesse präsentierte sich Brasilien vorab in Leipzig und gab einen Einblick in die Literaturszene. Genau in diesem Moment fand eine Autorenlesung auf brasilianisch statt, die absatzweise übersetzt wurde. Brasilianisches Portugiesisch ist für mich, obwohl ich es nur sehr bruchstückhaft verstehe, eine der melodischsten Sprachen der Welt. Also blieb ich stehen und hörte zu. Der Autor hieß Ronaldo Wrobel, war etwa in meinem Alter und stammte aus Rio de Janeiro. Genau dort spielt auch sein Roman »Hannahs Briefe«, auf den ich durch diese Lesung aufmerksam wurde. „Verwirrspiel in Rio de Janeiro“ weiterlesen

Berliner Luft

Gereon Rath Krimireihe

Ich lese gerne Krimis. Das ist ein Genre, in dem sich die Spreu vom Weizen trennt. Der Markt ist voll mit platten Thrillern, aufgepeppt mit Blut, Brutalität und unglaubwürdiger Action. Aber in dem ganzen Altpapier-Dschungel gibt es auch immer wieder fantastische Entdeckungen, manchmal sogar ganze Goldminen an spannender Literatur. Wie etwa die Krimiserie rund um den Ermittler Gereon Rath von Volker Kutscher. „Berliner Luft“ weiterlesen