Chiles 11. September

Roberto Ampuero: Der letzte Tango des Salvador Allende

Das Datum 11. September ist heute untrennbar mit den Ereignissen im Jahr 2001 verknüpft, durch die sich die Welt veränderte und die USA hochgradig traumatisiert wurden. Aber 28 Jahre zuvor gab es schon einmal einen 11. September, und damals waren die USA nicht Opfer, sondern Täter oder zumindest Anstifter und Unterstützer. Es war im Jahr 1973, als der Oberbefehlshaber der chilenischen Streitkräfte Augusto Pinochet durch einen Staatsstreich die Macht an sich riss und den Präsidenten Salvador Allende gewaltsam aus dem Amt putschte. Allende kam dabei ums Leben, eine Schreckensherrschaft Pinochets und seiner Militärjunta folgte, bei der Tausende von Menschen ermordet wurden. Die Aufarbeitung dieser Ereignisse dauert an. Bis heute.

Der Roman »Der letzte Tango des Salvador Allende« des chilenischen Schriftstellers Roberto Ampuero führt uns hinein in diese dramatische Zeit, es ist ein bewegendes Buch über ein Land im Umbruch. Der Ich-Erzähler ist David Kurtz, ein Amerikaner, der zu Beginn der siebziger Jahre mit seiner Familie in Santiago de Chile lebte. Seine Tochter Victoria studierte damals an der dortigen Universität, er war allerdings nicht der Geschäftsmann, der er zu sein vorgab, sondern im Auftrag der CIA im Land, um aktiv auf den Sturz der sozialistischen Regierung Allende hinzuarbeiten.

»Dieser Arzt mit Schnurrbart und schwarzer Hornbrille weckte grenzenlose Erwartungen bei den Armen, die eine Verstaatlichung der Kupferminen und die Enteignung von Fabriken, Banken und Ländereien forderten. Das wiederum löste Panik bei den Wohlhabenden und in Washington aus, wo man besorgt war, das Land könnte sich mit der Sowjetunion verbünden und zu einem zweiten Kuba werden. Um das zu verhindern, schickte die Firma Hunderte von getarnten Experten nach Chile, unter anderem mich.« Für David Kurtz war es ein Job, er glaubte auf der richtigen Seite zu stehen. Für seine Tochter war es die schönste Zeit ihres Lebens, sie bewegte sich an der Universität in linksintellektuellen Kreisen und traf dort ihre große Liebe. Als der Militärputsch begann, musste sie das Land verlassen und hat ihren Geliebten nie wieder gesehen.

Jetzt, 25 Jahre nach dem Putsch ist Kurtz wieder nach Chile gereist. Seine Tochter ist vor kurzem an Krebs gestorben, doch vor ihrem Tod musste er ihr versprechen, herauszufinden, was aus ihrem Geliebten geworden ist. Von dem ihr Vater nichts wusste. So wie er überhaupt wenig von dem Leben seiner Tochter weiß. Sie hinterließ ihm ein Photo von sich mit einigen chilenischen Freunden, aufgenommen um das Jahr 1972. Und ein altes Schreibheft, ein auf spanisch geschriebenes Tagebuch, das im Besitz Victorias war und ihm bei seinen Nachforschungen helfen soll.

Dann wechselt die Perspektive, die Geschichte springt zwischen Kurtz‘ Suche nach der Vergangenheit und den Aufzeichnungen im Tagebuch hin und her. Verfasser des Hefts ist Rufino, ein einfacher Bäcker, der in jungen Jahren bei einer kommunistischen Fortbildungsveranstaltung für Arbeiter den damals noch jungen Allende kennengelernt hat, der – obwohl aus großbürgerlichem Hause – in das Millieu der Arbeiter eintauchen wollte. Viele Jahre später treffen sie sich zufällig wieder, Allende ist Präsident und Rufino, der tagebuchschreibende Bäcker wird sein persönlicher Assistent. Durch seine Augen lernen wir den glücklosen Allende kennen. Ein nüchterner Mann, der sein Land verändern möchte und zum Schluss zwischen allen Stühlen sitzt. Einsam und isoliert. Ein Mann, der bis zum bitteren Ende an seine Utopie einer gerechten Welt geglaubt hat, aber auf ganzer Linie gescheitert war. Mangelwirtschaft, eine zusammenbrechende Infrastruktur, streikende Transportarbeitergewerkschaften, eine radikale Linke, der die Veränderungen nicht weit genug gingen, rechtskonservative Militärs, die gewaltsam das Land in ihre Richtung steuern wollten, tatkräftig von den USA unterstützt – dies alles erleben wir hautnah durch die Tagebuchaufzeichnungen mit. »Setzen wir all unsere Hoffnungen auf eine Utopie, um unserem Leben einen Sinn  zu geben, oder hat unser Leben einen Sinn, weil wir an eine Utopie glauben?« Gleichzeitig ist Rufino, der Bäcker auch ein großer Tangoliebhaber und er bringt Allende diese Musik nahe, die Tangoschallplatten werden eine der wenigen Zerstreuungen des Präsidenten.

Mit Hilfe des Tagebuchs, des Photos und alter Kontakte dringt David Kurtz immer tiefer ein in die Vergangenheit, versucht die Identität des Bäckers herauszubekommen und zu verstehen, was diese Aufzeichnungen mit seiner Tochter zu tun haben. Dann gibt es Leute, denen seine Nachforschungen gar nicht passen, die alte Geschichten nicht wieder aufgewirbelt sehen möchten. Zu viele Menschen wurden nach dem Putsch von den Militärs verschleppt, gefoltert, ermordet, sind spurlos verschwunden, keiner möchte darüber reden. Es ist eine bittere Suche nach der Wahrheit. Und Kurtz, der pensionierte CIA-Mann, beginnt zu begreifen, was er damals mitgeholfen hat anzurichten. Wie viel Leid seine Arbeit über das chilenische Volk gebracht hat. Und über seine Tochter.

Buchinformation
Roberto Ampuero, Der letzte Tango des Salvador Allende
Aus dem Spanischen von Carsten Regling
Bloomsbury Berlin
ISBN 978-3-8270-1110-7

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6 Antworten auf „Chiles 11. September“

  1. Absolut richtig, lieber Herr Kalkowski, allein der Umschlag lohnt schon, das Buch in die Hand zu nehmen. Gilt übrigens für die anderen Titel von Ampuero auch. Und wieder einmal eine Leseappetit machende Beschreibung von Ihnen! Danke, auf diesen Autor wäre ich sonst nicht gekommen. Die Leseprobe fand ich auch gut, demnächst geht’s los.

    1. Lieber Herr Schmidt, es freut mich, dass ich Ihnen den von mir sehr geschätzten Autor näherbringen konnte und wünsche viel Spaß beim Lesen.

  2. Auch mich hat Deine Buchbesprechung sehr neugierig auf das Buch gemacht. Und mir ging es auch wie Birgit, ich habe direkt ein paar Filmszenen vor Augen gehabt. Ein kurzes Brainstorming mit meinem Mann und google brachte uns zu „Missing“ mit Jack Lemmon, der nach dem Militärputsch in Chile seinen verschwundenen Sohn sucht (http://de.wikipedia.org/wiki/Vermi%C3%9Ft_%28Film%29). Wie auch immer: „Der Tango“ muss wohl auch ins Regal.
    Viele Grüße, Claudia

    1. Freut mich, wenn ich Dein Interesse wecken konnte, besonders da der Autor hierzulande gar nicht so bekannt ist, wie er meiner Meinung nach sein sollte. Bin gespannt, ob Dir das Buch gefällt. Den Film kenne ich nicht, die Inhaltsangabe klingt aber sehr vielversprechend. Und ziemlich heftig.

  3. Ich traue mich hier mal, einen Link zu einem eigenen 11.9.-Beitrag zu setzen – Du verstehst vielleicht, warum: http://saetzeundschaetze.com/2013/09/23/chiles-traumatischer-september-erinnerung-an-pablo-neruda/
    jedenfalls: Danke für diese Buchbesprechung, das Buch wäre mir ansonsten entgangen. Der Plot erinnert ganz vage an einen Spielfilm, dessen Namen ich jedoch leider vergessen habe – evt. Nicaragua? – und ihm dem es auch sozusagen um amerikanische Vergangenheitsbewältigung in Lateinamerika geht. Ein wichtiges Thema – die haben dort viel angerichtet.

    1. Vielen Dank für den Link, das ist ein sehr lesenwerter Beitrag über den großen Pablo Neruda! Um ihn geht es übrigens auch in einem anderen Buch des Autors Roberto Ampuero: https://kaffeehaussitzer.de/?p=282 Das hatte ich mir irgendwann gekauft, weil mir das Buchcover so gut gefallen hat – und habe damit einen chilenischen Schriftsteller entdeckt, der mich sehr begeistert.

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