Eine Legende der Leidenschaft

Robert Baur: Mord in Metropolis

Der Roman »Mord in Metropolis« von Robert Baur nimmt uns mit. Und zwar mitten hinein in die Entstehung eines Meisterwerks, eines Meilensteins der Filmgeschichte, einer Legende. Doch schon die Dreharbeiten an sich waren legendär, denn Metropolis war eines der wahnwitzigsten Filmprojekte aller Zeiten und der Regisseur Fritz Lang ein von äußerster Leidenschaft getriebener Perfektionist. In den beiden Jahren 1925 und 1926 wurden etwa 600 Kilometer Film belichtet, sekundenlange Szenen dutzendfach wiederholt, bis sie den Vorstellungen Langs entsprachen, tausende von Statisten beschäftigt, die in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit leicht zu engagieren waren, neueste Technik für aufwändige Trickaufnahmen eingesetzt oder erst dafür entwickelt. Mit enormen Aufwand wurden Kulissen gebaut, hauptsächlich in Potsdam, in den Studios Babelsberg, wo eigens für Metropolis das damals größte und modernste Filmatelier Europas entstand. Die Kosten explodierten, der Film wurde teurer und teurer, das Budget um ein vielfaches überschritten. Die UFA als produzierende Gesellschaft war davor schon angeschlagen gewesen, aber durch Metropolis geriet sie immer weiter in wirtschaftliche Schieflage.

Das ist der historische Hintergrund dieses Buches. Es beginnt damit, dass die Hauptdarstellerin des Films, Brigitte Helm, mysteriöse Drohbriefe erhält, die niemand ernst nimmt. Um seiner Pflicht Genüge zu tun, bittet Ernst Gennat, Chef der Berliner Mordkommission bei der Kripo, seinen langjährigen Freund und Mitarbeiter Robert Grenfeld, sich auf dem Filmgelände umzusehen. Allerdings ist Grenfeld zu diesem Zeitpunkt nicht mehr Mitglied der Berliner Kriminalpolizei, völlig ausgebrannt, latent alkoholsüchtig hatte er nach 20 Jahren Dienst seinen Abschied eingereicht und sich in seiner Villa im Grunewald eingeigelt. Eigentlich ist es die Villa seiner Frau Helene, denn durch seine Hochzeit hat sich Grenfeld in die Berliner Oberschicht eingeheiratet. Helene ist allerdings auf Reisen, Paris, Italien, Tessin, denn sie kann sein Elend und Selbstmitleid nicht ertragen. Letztendlich war sie es, die Gennat gebeten hat, Grenfeld wieder eine Aufgabe zukommen zu lassen. Und dieser lässt sich widerwillig tatsächlich überreden, nach Babelsberg hinauszufahren und sich der ominösen Drohungen anzunehmen.

Damit betritt er eine ihm fremde Welt. Die Welt des Films und der Illusionen, der Besuch des chaotisch wirkenden Filmgeländes bringt ihn völlig aus der Fassung. Eigentlich möchte er nur seine Ruhe haben, denn »plappern und hetzen, das war die größte Errungenschaft des neuen Zeitalters. Selbst auf den Straßen und Plätzen fühlte sich jeder bemüßigt, seine Meinung der Öffentlichkeit kundzutun.« Derartig kulturpessimistisch gestimmt, wirkt Babelsberg wie ein Schock: Überall Menschen, Kulissen, künstliche Städte, Baustellen, Arbeiter, Statisten, Schauspieler, dazwischen Dreharbeiten. Alles in einer wahnsinnigen Dimension: »Warum sechstausend Komparsen für eine Filmszene von fünf Minuten? Warum acht Tage Trickaufnahmen für zehn Sekunden? Fünfundzwanzigtausend Komparsen, fünfunddreissigtausend Paar Schuhe, Kostüme für zweihunderttausend Mark, fünfzig eigens für Metropolis entworfene Automobile, die neuen Mitchell-Kameras aus Amerika für zehntausend Dollar?« Und bald darauf eine tote Statistin. Nun regt sich der alte Kriminaler in ihm und er beginnt zu ermitteln. Wir befinden uns im Jahr 1925 und der Leser folgt ihm in ein Berlin des organisierten Verbrechens, der Ringvereine, der Exilrussen, die vor dem Sowjetregime geflohen waren und in »Charlottengrad« ihr Dasein fristeten, in ein Berlin der Armut und der Reichen, der gescheiterten Existenzen und in die Szene rechtsnationaler, militanter Splittergruppen.

Aus all diesen Ingredienzien braut der Autor eine spannende Story, bei der das Mammutwerk Metropolis immer wieder im Mittelpunkt steht, sei es bei der Schilderung der Filmaufnahmen oder bei Verfolgungsjagden durch die futuristische Kulissenstadt. Dabei will Grenfeld sich distanziert geben, will sich weiter in seinem Selbstmitleid suhlen, sich abends mit Wein betäuben. Aber als eine potentielle Zeugin, die mit ihm reden möchte, getötet wird und bald darauf ein weiterer Mord geschieht, weiß er, dass es jetzt für ihn kein Zurück mehr gibt. Zusammen mit Mascha, einer Exilrussin, die als Komparsin am Filmset arbeitet, beginnt er seine Ermittlungen. Sie führen ihn von den übelsten Berliner Kaschemmen bis zu den Geldgebern der Filmproduktion, die zunehmend nervöser ob der explodierenden Kosten werden. Eine Sabotage der Dreharbeiten durch weitere Todesfälle würde das Aus für den Film bedeuten. Und wohl auch für die UFA.

Mascha, die Exilrussin, bleibt eine  geheimnisvolle Person: »Sie war eine Schiffbrüchige, die verzweifelt Halt suchte, wie die anderen Hunderttausend Gestrandeten in dieser Stadt. Sie gründeten Verbände, Hilfsorganisationen, Verlage, Zeitungen, Restaurants und Literaturzirkel. Sie stritten sich erbittert, ob man in die Heimat zurückkehren, das neue Regime anerkennen oder bekämpfen sollte. Und während die meisten von ihnen längst nach Paris weitergereist waren, hielt sich Mascha von ihren Landsleuten fern, schloss sich einem Ganovenverein an, lief einem ausrangierten Kommissar hinterher und war auch sonst in keine von Grenfelds bekannten Schubladen einzuordnen. Er konnte ihr nicht trauen, aber er begann sie zu mögen.«

Und dann, viel später, nachdem die Berliner Polizei längst einen Verdächtigen als Täter eingesperrt hatte, kommt er der wahren Lösung des Falles auf die Spur. Das finale Duell findet natürlich in Metropolis statt. Und endet passend. Passend zum Zeitgeist.

Mit Robert Grenfeld hat der Autor Robert Baur eine spannende Romanfigur geschaffen, eine schwierige Persönlichkeit, gescheitert, aber doch ein Kämpfer, wenn es darauf ankommt. Er kann sich getrost an die Seite von Gereon Rath stellen, des Ermittlers aus den Berlin-Romanen von Volker Kutscher. Beide zeigen uns ein Berlin aus einer längst vergangenen Zeit, rauh, voller Ecken und Kanten. Und voll urbaner Faszination.

Als ich »Mord in Metropolis« fertig gelesen hatte, habe ich mir direkt die DVD mit der restaurierten Fassung von Metropolis besorgt. Denn das Buch hat mich mehr als neugierig auf diesen Film gemacht.

Buchinformation
Robert Baur, Mord in Metropolis
Gmeiner Verlag
ISBN 978-3-8392-1546-3

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4 Antworten auf „Eine Legende der Leidenschaft“

  1. Ich renne gleich mit flatterndem Bestellzettel in die Buchhandlung und werde über Nacht auf den Fingernägeln kauen, bis ich morgen früh dieses Buch abholen kann – um neben der Kasse im Stehen zu lesen anzufangen. Ehrlich. Überhaupt bin ich gerade vollkommen begeistert: Bin gerade erst ins Blogwesen im Allgemeinen und jetzt in die Kaffeehaussitzer-Welt im Speziellen hineingestolpert – sehr schön hier! Deine Themen treffen exakt meinen Nerv; großartige Beiträge, wundervolle Photos. Ich koche mir jetzt noch eine Kanne Kaffee, so schnell werde ich hier aus dem Lesen nämlich nicht herauskommen. Vielen Dank!

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