Die Brücke der Lügen

Joakim Zander: Der Schwimmer

Als der namenlos bleibende Agent endlich die Akte erhält, nach der er gesucht hat, wird sein Leben eine zweite entscheidende Wendung nehmen. Es ist im Dezember 2013 und die andere, die erste entscheidende Wendung liegt viele Jahre zurück. Er war damals, im Juli 1980, im Auftrag der CIA in Damaskus stationiert, hatte sich in eine schwedische Diplomatin verliebt und hielt ihr beider Kind in den Armen, als sie in seinem explodierenden Auto starb. Das Kind überlebte, aber er fühlte sich außerstande, für es zu sorgen, so dass seine Tochter Klara ohne irgendetwas über ihren Vater zu wissen bei ihren Großeltern auf einer schwedischen Schäreninsel aufwuchs.

Den CIA-Agenten hatten die Geschehnisse aus der Bahn geworfen, der weitere Verlauf seines Lebens bildet die Rahmenhandlung des Romans »Der Schwimmer« von Joakim Zander. Wir erleben mit, wie er mit den Irakern gegen die Iraner arbeitet, dann die Taliban gegen die Sowjets unterstützt, die Kurden gegen die Iraker aufstacheln hilft, dann der Krieg gegen die Taliban in Afghanistan, gegen den Irak, eine Spirale der Gewalt und der unseligen Verstrickungen die sich immer schneller und schneller dreht. Und immer blutiger, roher und gewaltsamer wird. Im Namen von Freiheit und Demokratie wird getäuscht, betrogen, gefoltert und getötet. Der Agent sieht das alles mit zunehmender Distanz, der sogenannte Krieg gegen den Terror ist nicht mehr sein Krieg. Sein Krieg findet in seinem Inneren statt, er versucht herauszufinden, wer es war, der damals die Autobombe platzierte. Um sich zu rächen und endlich mit sich selbst Frieden zu finden. Frieden, den er sonst nur in kurzen Momenten erfährt, wenn er bis zu Erschöpfung im Schwimmbad seine Bahnen zieht. Der namenlose Agent, der seine Geschichte aus der Ich-Perspektive in Rückblicken erzählt, er ist der Schwimmer. Ein einsamer Mensch, desillusioniert und ausgebrannt, aber noch nicht am Ende seiner Kräfte.

Doch die eigentliche Romanhandlung dreht sich um Klara Walldéen und ihren Ex-Freund Mahmoud Shammosh. Beide kennen sich seit ihrem Politikwissenschaft-Studium in Uppsala, aber während Mahmoud die Uni-Laufbahn einschlägt, wählt Klara eine Karriere in der EU, in Brüssels Korridoren der Macht, umgeben von Bürokraten und Lobbyisten. Was folgt, ist ein klassischer Krimiplot: Eine unbedarfte Person erhält von einem flüchtigen Bekannten streng geheime Daten von hoher politischer Brisanz und gerät dadurch selbst ins Fadenkreuz dunkler Mächte. Diese dunklen Mächte, meistens skrupellose Geheimdienste, schrecken auch vor Mord nicht zurück, um die Daten wieder in ihren Besitz zu bekommen. Die unbedarfte Person wird gnadenlos verfolgt, entkommt, sucht Hilfe bei einem Freund oder einer Freundin und ab diesem Moment sind beide auf der Flucht. Schließlich entwickeln sie einen Plan, um zurückzuschlagen oder zumindest einen Deal anzubieten. Nach weiteren Verwicklungen kommt es am Ende zum Showdown.

Ich habe keine Ahnung, wie viele Varianten dieses Plots ich schon gelesen habe. Aber Joakim Zander hat mit »Der Schwimmer« nicht nur eine weitere Version hinzugefügt, sondern es geschafft, aus diesen altbewährten Zutaten einen brillanten Thriller zu erschaffen. Die unbedarfte Person ist Mahmoud, die Freundin ist Klara. Und dazu kommt eine gelungene Mischung unterschiedlichster Charaktere, vom schmierigen Lobbyisten über eine minderjährige Hackerin und einem kühl kalkulierenden Rechtsanwalt bis hin zu gewissenlosen Killern, die für eine private Sicherheitsfirma arbeiten, welche wiederum von der CIA beauftragt worden ist. Gewissenlos vor allem deshalb, weil sie der Meinung sind, für die gute Seite zu arbeiten und dafür bereit sind über Leichen zu gehen.

Wilde Verfolgungsjagden, überraschende Wendungen, ein Blick in die Abgründe der Geheimdienstarbeit, die Flucht von den EU-Glaspalästen in Brüssel über Paris und Amsterdam bis in die schwedische Provinz, das alles erzählt Joakim Zander in einem atemberaubenden Tempo, gespickt mit einigen sprachlichen Perlen. Besonders die Stellen im Buch sind starke Literatur, in denen der Schwimmer, der namenlose Agent, erzählt, wie er bis zu dem Punkt in der Gegenwart gekommen ist, an dem er endlich die Wahrheit in Form einer Akte in den Händen hält. Doch was ist die Wahrheit im Leben eines Geheimdienstlers? »Ich weiß, dass so vieles eine Lüge ist. Doch die Wirklichkeit ist zerbrechlich. Ohne die Lüge droht sie einzustürzen. Die Lügen sind die Pfeiler, die die Brücke stützen, damit ihr von einem Ufer zum anderen gelangt. Es gibt keine Wahrheit.«

Wenn er die Akte aufschlägt, wird er wissen, was damals, 1980, wirklich geschah und eine Entscheidung treffen müssen. Um zu versuchen, ohne die Brücke der Lügen an das andere Ufer zu kommen. Hoffentlich schafft er es rechtzeitig.

Denn für seine Tochter geht es inzwischen um das bloße Überleben.

Buchinformationen
Joakim Zander, Der Schwimmer
Aus dem Schwedischen von Ursel Allenstein und Nina Hoyer

Rowohlt Verlag
ISBN 978-3-499-26887-6

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3 Antworten auf „Die Brücke der Lügen“

  1. Es war ein richtig gutes Buch gewesen, dass ich nicht aus dee Hand legen konnte.
    Allein den Schluss fand ich ein wenig flach und finde, dass er auch ruhig dramatischer enden könnte.
    Ansonsten Top.

  2. Dieser Thriller lacht mich seit einiger Zeit an, zumal ihn auch schon diverse Krimiblogs ziemlich positiv besprochen haben. Aber abgesehen davon, dass ich ihn unbedingt lesen will, wünschte ich mir, dass mir solche Stoffe (öfter) mal auf Arbeit begegnen, und zwar von einem deutschsprachigen Autor. Das wäre mal eine schöne Entdeckung.

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