Eine Oase der Vergänglichkeit

Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin

In Berlin bin ich gerne, oft und regelmäßig. Auch wenn ich noch nie länger als drei Monate am Stück dort verbracht habe, fühle ich mich in dieser Stadt auf irgendeine Weise zu Hause, seit meinem ersten Besuch, der schon ziemlich lange her ist. Warum das so ist? Ich weiß es nicht, vielleicht eine Art Familienerbe? Meine Oma lebte dort während der gesamten Zwanzigerjahre, und obwohl ich in Süddeutschland geboren und aufgewachsen bin, stammt ein großer Teil meiner Familie aus den preußischen Landen – bevor zwei Weltkriege sie in alle möglichen Ecken Deutschlands verstreut haben. Aber das wollte ich eigentlich gar nicht erzählen, wobei die Beschäftigung mit dem Thema Heimat sicher eine interessante Literaturliste abgeben würde. Aber nicht jetzt. Nicht heute. Diesmal geht es um die Vergänglichkeit.

Bei meinem letzten Berlin-Besuch am vergangenen Wochenende war ich nämlich endlich einmal dort, wo ich schon längst einmal gewesen sein wollte, es aber aus irgendwelchen Gründen bisher nie geschafft hatte: Auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof an der Chausseestraße in Berlin-Mitte. Und das war außerordentlich beeindruckend. Denn der Friedhof ist nicht groß, sehr überschaubar, von der Ausdehnung her könnte er eher zu einer Kleinstadt gehören. Aber bei jedem Schritt stößt man auf einen Namen, den man kennt, Schriftsteller, Geistesgrößen, Künstler, Kulturschaffende, Industrielle, Kommunisten, Kapitalisten, Realisten, Schöngeister, alle liegen sie da einträchtig nebeneinander. Wie ein Who is who der deutschen Kulturgeschichte auf kleinstem Raum.

In der Regel machen wir uns – solange wir jung oder jedenfalls gesund sind – wenig Gedanken über den Tod. In unserer Gesellschaft ist er ausgeklammert, gestorben wird nicht mehr im Kreis der Familien sondern hinter Krankenhaus- und Pflegeheimtüren. Dabei ist er immer da, überall. Der Besuch auf einem Friedhof erinnert einen an die Vergänglichkeit allen Lebens und Schaffens, lässt einen innehalten und nachdenken. Wenn man dabei von so vielen prominenten Namen umgeben ist, ergibt das eine besonders starke Wirkung. Denn im Tod sind alle gleich, auch wenn ihre Werke die Jahre überdauern mögen.

Tröstlich und ermutigend war die Inschrift auf dem Grabstein von Herbert Marcuse. Über dem Namen stand ein einziges Wort: Weitermachen!

Das Grab von Herbert Marcuse

Was für ein wunderbar stiller Ort, eine kleine Oase inmitten des Großstadtlärms.

17 Antworten auf „Eine Oase der Vergänglichkeit“

  1. Stimmt! Ich war vor einigen Jahren dort und kann Ihre Eindrücke und Gedanken gut nachvollziehen. An den Grabstein von Marcuse kann ich mich allerdings nicht mehr erinnern, umso besser, ihn hier wiederzufinden. Dieses Wort an dieser Stelle sagt alles. Und die Bilder sind beeindruckend – Chapeau!
    Herzlichen Gruß: Winfried Schmidt

    1. Vielen Dank für die netten Worte. Die Urne Marcuses stand über Jahre unbestattet in den USA, wurde erst 2003 von seinen Söhnen nach Berlin gebracht und auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof beigesetzt. Möglicherweise hat sich das mit Ihrem Besuch überschnitten.

  2. Sehr schöne stille Aufnahmen. Hier ruhen illustre Persönlichkeiten und ihre Grabstätten sind oft erfrischend schlicht. Ich mag Friedhöfe, vor allem die alten, bewachsenen stillen. Der Alte Friedhof in Freiburg würde dir vielleicht auch gefallen, er wirkt auch eher wie eine Oase der Vergänglichkeit. Und was die Heimat betrifft, so ging es mir mit Berlin ähnlich, ich fühlte mich sofort wohl und aufgenommen, obwohl ich nur zwei Monate am Stück da war und meine Vorfahren mehr aus dem Osten des Ostens Berlins kommen. Danke für den Beitrag.

    1. Ja, den alten Friedhof in Freiburg-Herdern kenne ich. Vor vielen Jahren wurde dort nach Einbruch der Dunkelheit vom Theater Freiburg ein Stück aufgeführt, das vom Tod handelte. Den Titel weiß ich nicht mehr, aber es war von der Stimmung her ein sehr beeindruckendes Erlebnis.

  3. Was ist Heimat? Ich habe die Vorahnung, nur eine kleine, dass das dein nächstes literarisches Projekt sein könnte, obwohl du mit deinen jetzigen Projekten sicherlich noch einen kleinen Stapel zu lesen hast. Lieber Uwe, dass du uns an diesen besonderen Tag in Berlin teilhaben lässt, finde ich schön. Die Fotos sind wunderbar, und deine Zeilen bewegen mich sehr. Ein Teil meiner Vorfahren stammt übrigens auch aus Preußen, genauer gesagt, aus Tilsit. Der andere Teil aus Luzk – Wolhynien. Irgendwann werde ich die Heimat meiner Großeltern besuchen. Das habe ich mir fest vorgenommen, denn die Frage „Was ist Heimat“ habe ich mir schon oft gestellt. Ich kann mir gut vorstellen, dass man umgeben von so vielen Berühmtheiten über die Vergänglichkeit des Lebens nachzudenken beginnt, und vor allem auch über sich selbst.

    Liebe Grüße,
    Tanja

    1. Liebe Tanja, vielen Dank für Dein nettes Feedback. Und ja, das Thema spukt schon länger im Kopf herum und gedanklich suche ich auch schon passende Bücher zusammen. Aber das dauert noch ein bisschen.
      Viele Grüße
      Uwe

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