Blutgeld für schöne Bücher

James Agee und Walker Evans: Preisen will ich die großen Männer

Letzte Woche habe ich mir nach vielen Jahren wieder einen Band der Anderen Bibliothek gekauft. Es ist das Buch »Preisen will ich die großen Männer« von James Agee mit den Photographien von Walker Evans. 1941 das erste Mal erschienen, war es das Ergebnis eines Rechercheprojekts des Autors und des Photographen, mit dem sie über die Lebensbedingungen der Farmerfamilien im Süden den USA berichteten. Es war eine Reise in die bitterste Armut – hohlwangige Männer, verhärmte Frauen, ernste Kinder und halbzerfallene Häuser. Die Weltwirtschaftskrise und die große Depression hatten in den USA ihre Spuren hinterlassen. Die Texte und Photos, die so zusammengetragen wurden, machen auch heute noch einen tiefen und bewegenden Eindruck. Auf Wikipedia gibt es einen sehr engagiert geschriebenen Beitrag zu diesem Buchprojekt: »Ein nachhaltiges Porträt einer nahezu unsichtbaren Gruppe innerhalb der amerikanischen Bevölkerung.«

Ein beeindruckendes Buch also, und wie stets bei der Anderen Bibliothek handwerklich großartig gemacht. Der Einband aus grobem Leinen, natürlich Fadenheftung, und beim ersten Aufblättern riecht das Buch wunderbar nach Papier, Druckerschwärze und Buchbinderleim. Besser als jedes Parfum. Eine alte, aus vergangenen Tagen stammende Begeisterung für diese Buchreihe wurde in mir wieder zum Leben erweckt.

Kennengelernt habe ich die Andere Bibliothek zu Beginn meiner Buchhändlerlehre. Es war 1993 und sobald ich das erste Buch in den Händen hielt, hatte mich die Reihe komplett in ihren Bann gezogen. Jeden Monat ein neuer Band, ein unbekannter Autor oder ein wiederentdeckter Text, jeder Einband aufwändig und individuell gestaltet, wahre Schmuckstücke. Und das ganz Besondere: Alle Bücher waren im Bleisatz gedruckt, echte Handwerkskunst also. Nur hatte die ganze Sache einen Haken, denn 48 DM pro Band waren viel Geld für einen Buchhändler-Azubi, der von 833 DM im Monat leben musste und davon schon 350 DM für die Miete benötigte. Es sind in dieser Zeit dann doch etliche Bände zusammengekommen und das verdanke ich zu einem großen Teil der Universitätsklinik Freiburg, genauer gesagt der dortigen Blutspendezentrale. Als eifriger Blutplasmaspender konnte ich mir fast jede Woche eine Infusionsnadel in die Armvene rammen lassen und dann etwa eine Stunde entspannt lesend warten, bis genug Blut abgepumpt, der Anteil der weißen Blutkörperchen herauszentrifugiert und  der Rest wieder zurückgepumpt war. Dafür bekam ich jedes Mal 40 DM. Und das 44 mal im Jahr. Die Narben habe ich heute noch. Aber die Bücher auch. Nur als Buchhändler arbeite ich schon seit einigen Jahren nicht mehr.

Bei Band 144 gab es dann eine Zäsur: Der Verlag stellte die Herstellung im Bleisatz ein und fortan wurde die andere Bibliothek ganz normal im Offsetdruck produziert. Aus betriebswirtschaftlichen Gründen mag diese Umstellung vielleicht verständlich gewesen sein, bei mir begann ab diesem Zeitpunkt das Interesse zu erlahmen. Als dann ein paar Jahre später etliche der älteren Ausgaben, die ich mir quasi mit meinem Blut verdient hatte, als »Mängelexemplare« auf den Restetischen einiger Buchhandlungen auftauchten, war der Exklusivitätsfaktor dahin und es mit meiner Sammelleidenschaft endgültig vorbei.

Inzwischen hat sich einiges getan. Es gab mehrere Herausgeberwechsel, die Andere Bibliothek ist nun eine eigene Firma unter dem Dach der Aufbau-Verlagsgruppe. Und nach wie vor erscheint Monat für Monat ein wunderschönes Buch. Wer sich einen Eindruck von der unglaublichen Vielfalt der Anderen Bibliothek verschaffen möchte, finden einen Überblick ebenfalls auf der Seite des Verlags.

Ob ich wohl morgen noch einmal kurz in die Buchhandlung gehe und mal schaue, welche Bände sonst noch so da sind? Nur mal schauen natürlich.

Buchinformation
James Agee/Walker Evans, Preisen will ich die großen Männer
Aus dem Amerikanischen von Karin Graf
Die Andere Bibliothek, Band 344
ISBN 978-3-8477-0344-0

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8 Antworten auf „Blutgeld für schöne Bücher“

  1. Das klingt doch hervorragend – ich muss zugeben, die Bücher haben es mir auch angetan, allerdings ist der hohe Preis wirklich ein Hemmnis für mich. Aber der verlegerischere Mut muss wirklich gerühmt werden!

  2. Blut fürs Buch…soweit kann es gehen :-) Aber die Andere Bibliothek ist manches Opfer wert. Tolle Besprechung, diesen Band werde ich mir flugs noch besorgen. Und wenn ihr Lust habt, schaut mal bei uns vorbei – wir haben gerade einige Reisebücher aus der AB besprochen, O`Rourke, Enzensberger, Trojanow…genial!

  3. Liebe Petra, so schlimm war das mit den Kanülen gar nicht, die Mitarbeiter der Blutspendezentrale waren Profis…Mit dem Ransmayer hast du aber einen guten Griff getätigt. Die Originalausgabe ist heute, 300 Bände später, immer noch einer der Klassiker in der Anderen Bibliothek. Leider kaum noch als Original zu bekommen…

  4. Auf die Idee mit der Blutspende wäre ich wegen Spritzenapathie nie gekommen, aber ein einziges Buch aus der Anderen Bibliothek habe ich mir als Buchhandels-Azubi auch gegönnt: Band 44 „Die letzte Welt“ von Christoph Ransmayr. Alle paar Jahre lese und genieße ich es wieder, so dass der Schuber aus Pergament immer rissiger wird. Deine Liebe zu diesen schönen Büchern kann ich absolut nachvollziehen. Denn auch heute, nach all den Wechseln, ragen sie durch ihre Gestaltung und die Titelauswahl aus der Masse des Austauschbaren heraus.

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