Neue Ermittler, neue Zeitreisen

Alex Beer und Christof Weigold mit Auftaktbaenden neuer Krimireihen

Wenn historische Kriminalromane sauber recherchiert sind, wenn Sprache sowie Ambiente die geschilderte Zeit passend wiedergeben – dann kann es sehr reizvoll sein, mit ihrer Hilfe vergangene Epochen kennenzulernen. Was die Zwanziger- und Dreißigerjahre in Berlin betrifft, hat der Autor Volker Kutscher mit seiner Gereon-Rath-Reihe in den letzten Jahren Maßstäbe gesetzt. Umso gespannter bin ich jedesmal, wenn neue Krimireihen an den Start gehen, die in einem ähnlichen Zeitraum angesiedelt sind. In den letzten Monaten war das gleich zwei Mal der Fall; die Auftaktbände zweier neuer Reihen schicken die Leser in das Wien des Jahres 1919/1920 und in das Los Angeles des Jahres 1921. Um es gleich vorwegzunehmen: Beide haben mir sehr gut gefallen und versprechen viel Potential für die Folgebände.

»Der zweite Reiter« von Alex Beer

Der Roman »Der zweite Reiter« der Autorin Alex Beer führt uns in das Wien des Winters 1919/1920. Das große österreichisch-ungarische Kaiserreich ist zerfallen, im kleinen Rumpfstaat der neuen österreichischen Republik fehlt es an allem. Die Menschen hungern und frieren, hunderttausende Kriegsheimkehrer bevölkern die Straßen, die Schmach des verlorenen Krieges und des zerfallenen Reiches sitzt tief. In diesen chaotischen Zeiten des Umbruchs sind Selbstmorde an der Tagesordnung.

Der Wiener Rayonsinspektor August Emmerich ist damit beauftragt, den blühenden Schwarzhandel zu bekämpfen und dessen Drahtzieher hinter Schloss und Riegel zu bringen. Es ist ein Kampf gegen Windmühlen, denn in Zeiten der Not blüht nichts so sehr wie illegale Geschäfte mit Versorgungsgütern aller Art. Als er bei seinen Ermittlungen auf eine Serie von Selbstmorden stößt, erkennt er ein Muster und beginnt zu recherchieren – auf eigene Faust, nur mit Hilfe seines neuen Assistenten Ferdinand Winter, einem jungen Mann aus gutem Hause, frisch von der Polizeiakademie.

Offiziell sind die Selbstmorde als solche ad acta gelegt, niemand möchte sich noch damit beschäftigen, doch Emmerich wittert seine Chance: Schon lange träumt er davon, zur Mordaufklärung der Kripo zu wechseln, dies könnte seine Eintrittskarte sein. Gegen alle Anweisungen und Widerstände ermittelt er immer weiter und sein Weg führt ihn quer durch Wien, quer durch sämtliche Wiener Gesellschaftsschichten, vom Elend der vollkommen Mittellosen bis hinein in teure Etablissements, in denen das Geld mit beiden Händen ausgegeben wird. Emmerich, behindert durch seine Kriegsverletzung, deren Schmerzen er mit dem neuen Wundermittel Heroin lindert, sitzt irgendwann zwischen allen Stühlen. Er stürzt ab, fällt tief, sehr tief und verliert dabei fast alles. Er schafft sich Feinde, findet Hilfe, wo er es nicht erwartet hätte und steht zum Schluss vor einer Lösung des Falls, die ihn nach vielen Sackgassen zurückführt mittein hinein in das Gemetzel des vergangenen Krieges. Der zweite Reiter auf seinem roten Pferd ist in der Apokalypse das Symbol des Blutes, das im Krieg vergossen wird – und der Buchtitel ist nicht zufällig gewählt: Er passt perfekt zum Ende des Romans.

Alex Beer schafft es grandios, die trostlose Stimmung der Metropole eines zerfallenen Landes einzufangen. Eine Welt ist untergegangen und eine neue ist erst vage zu erkennen. August Emmerich irrt durch dieses Chaos, er ist dabei einer dieser Charaktere, die mit dem Rücken zur Wand stehen, die chancenlos sind, aber doch immer weitermachen. Solche Protagonisten gibt es in vielen Romanen, doch mit Emmerich hat die Autorin einen neuen, ganz eigenen Helden ins Spiel gebracht, einen Helden, der nicht gut ist und nicht böse, sondern das macht, was getan werden muss. Und ganz nebenbei ist das Buch eine schöne Hommage an »Der dritte Mann«, denn auch die Wiener Kanalisation spielt eine wichtige Rolle – nur die Nachkriegszeit ist die eines anderen Krieges. Ein sehr gelungener Auftakt einer Reihe, ich hoffe sehr, dass der zweite Fall von August Emmerich nicht lange auf sich warten lässt.

»Der Mann, der nicht mitspielt« von Christof Weigold

Christof Weigolds »Der Mann, der nicht mitspielt«  beginnt wie das Klischee eines Noir-Romans: Ein erfolgloser Privatdetektiv, der sich gerade so über Wasser hält, wird von einer schönen Unbekannten gebeten, eine verschwundene Freundin von ihr zu finden. Und vieles am gesamten Stil der Handlung wirkt wie ein klassischer »Noir«, die flapsig-sarkastischen Sprüche, die desillusionierten Protagonisten und nicht zuletzt die Zeit der Handlung: Das Los Angeles des Jahres 1921. Oder vielmehr dessen berühmter Stadtteil Hollywood, denn hierhin werden seine Nachforschungen Privatdetektiv Hardy Engel bringen – und zwar viel intensiver, als er es ahnen kann. Und als es ihm lieb ist.

Die Suche nach der verschwundenen Freundin, dem Starlet Virginia Rappe, führt Engel mitten hinein in einen der größten Skandale des an solchen nicht gerade armen Hollywoods der damaligen Zeit. Es war die glänzende Epoche der Stummfilme und die Blütezeit der großen Filmstudios, deren Erfolg noch heute den Glamour Hollywoods ausmacht. Gleichzeitig wird es für Hardy Engel eine Reise in einen gesellschaftlichen Abgrund, einen Sündenpfuhl, wie er ihn vielleicht erahnen, aber sich nicht wirklich vorstellen konnte. Aufputschmittel, Alkohol, Drogen, ausgebrannte Menschen, Sex als Gefälligkeit oder potentiell karriereförderndes Mittel zum Zweck – vieles von dem, was nun durch die #metoo-Debatte thematisiert wird, hat in der Filmindustrie vor einem Jahrhundert seinen Anfang genommen.

Christof Weigold baut seinen Roman um den Niedergang des damaligen Superstars Roscoe »Fatty« Arbuckle herum auf. Als nach einer der legendär-ausschweifenden Drogenpartys Arbuckles eine junge Schauspielerin an den Folgen einer Vergewaltigung stirbt, war dies ein Punkt, an dem sich die Studiobosse zum Handeln gezwungen sahen, um durch die landesweite Empörung – ausgelöst durch die Regenbogenpresse des Hearst-Konzerns – nicht die gesamte Filmindustrie zu gefährden. Die tote Schauspielerin war jene Virginia Rappe, die Hardy Engel finden sollte und es dauert lange, bis er das zynische Spiel der Suche nach einem Sündenbock durchschaut. Doch dann – wie es sich für einen echten Noir-Helden gehört – handelt er. Und niemand kann ihn von seinem eingeschlagenen Weg abbringen, bei dem er irgendwann selbst nicht mehr weiß, auf welcher Seite des Gesetzes er steht. Oder vielmehr, auf welcher Seite das Gesetz steht.

Der Autor verknüpft in seinem Roman sehr gekonnt historische Personen und Ereignisse mit Fiktion. Dabei lässt er sich Zeit, die Handlung entwickelt sich langsam. Ein Buch wie ein Film aus dieser Ära, als es noch keine hektischen Schnitte gab – schon der Buchtitel ist eine augenzwinkernde Verneigung vor jener Epoche. Und doch kommt natürlich die Action nicht zu kurz, es gibt Verfolgungsjagden, gebrochene Nasen, Schießereien, dramatische Tode. Sehr dramatische, ganz im Stile Hollywoods. Ganz nebenbei lernen wir ein Los Angeles kennen, das noch nicht der Moloch unserer Tage, noch nicht von Autobahnen zerfressen ist und noch nicht aus einem Häusermeer bis zum Horizont besteht. Es gibt Downtown L.A. und darum herum einzelne andere Siedlungen, die nur lose miteinander verbunden sind. Dazwischen liegt ausgedörrtes Brachland, Wüste, begrenzt von Berg- und Hügelketten.

Hier ist Hardy Engel unterwegs, zu Fuß, per Bus oder in geliehenen Autos, in seinem verschwitzten Anzug unter der sengenden Sonne Kaliforniens, stoisch, illusionslos, aber weit davon entfernt aufzugeben. Er ist Deutscher, der nach dem Ersten Weltkrieg genug hatte vom alten Europa und an der Westküste nach einem Neuanfang sucht. Privater Ermittler war dabei nicht unbedingt sein Traumjob, aber von irgendetwas muss der Mensch ja leben. Und – so viel sei verraten – er macht das verdammt gut. So gut, dass ich mich jetzt schon auf seinen zweiten Fall freue.

Bücherinformationen
Alex Beer, Der zweite Reiter
Limes Verlag
ISBN 978-3-80902675-4

Christof Weigold
Der Mann, der nicht mitspielt
Verlag Kiepenheuer & Witsch
ISBN 978-3-462-05103-2

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4 Antworten auf „Neue Ermittler, neue Zeitreisen“

  1. Moin Uwe!

    Gerade am letzten Montag habe ich bei einer Lesung in meiner Stamm-Buchhandlung (genauer: natürlich VOR der Lesung) den Krimi von Christof Weigold entdeckt, wurde vom Cover angelockt und vom Inhalt angesprochen. Jetzt lese ich Deine gelungene Rezension und fühle mich bestätigt: Ich fürchte, es wird ein „Must-have“…
    …und schon wieder eine Krimi-Serie, von der ich meine Finger nicht lassen kann!

    Viele Grüße
    Andreas

    P.S. Deine Fotos gefallen mir SEHR!

    1. Hallo Andreas,

      vielen Dank. Und ja, wieder eine Krimi-Serie… Das habe ich auch gedacht und bin jetzt schon sehr gespannt auf den zweiten Band, der wohl in absehbarer Zeit erscheinen soll.

      Viele Grüße
      Uwe

  2. Nachdem ich selbst seit 20 Jahren in Wien lebe und auch schon oft in LA sein durfte, wecken beide Bücher schon mit dem Hintergrund Wien bzw. LA meine Aufmerksamkeit …. muss ich unbedingt lesen! Gute Empfehlung, Dankeschön. Evelin Brigitte Blauensteiner
    (Ich hoffe, gegen Teilen auf Facebook ist nichts einzuwenden?!)

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